Out to see

Out to see ist ein Film über John Ioannidis, den weltweit meistzitierten medizinischen Forscher, der – so schreibt sein Freund und Kollege Peter C. Gotzsche – „einer der schlimmsten Hexenjagden in der neuen Medizingeschichte zum Opfer“ gefallen ist. [1]

Ioannidis‘ „Sünde“ war, dass er früh zu bedenken gab, Corona sei möglicherweise nicht das Killervirus, zu dem es bereits erklärt worden war. Er verwies vollkommen zu Recht auf die miserable Datenlage und warnte, dass die drastischen Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus schlimmer sein könnten als das Virus selbst. Unter normalen Umständen wäre das nichts Besonderes gewesen, denn dergleichen ist mit gesundem Menschenverstand ohne weiteres nachvollziehbar. Die Umstände waren aber nicht normal. Stattdessen wurden Dauerpanik und brachiale Betriebsamkeit zur neuen Normalität.

Da Ioannidis bis zu diesem Zeitpunkt als der weltweit führende Epidemiologe galt, schoss man sich ebenso rasch wie heftig auf ihn ein. Bringt man den König zu Fall – so schien das Kalkül zu sein – so fallen mit ihm auch alle Großfürsten aus dem Reich der Widerspenstigen, zum Beispiel die Initiatoren der Great Barrington Declaration. Jeder noch so dümmliche Faktenchecker mit abgebrochenem Filmwissenschaftsstudium wusste es plötzlich besser und bekam Gelegenheit, kübelweise Geifer über Ioannidis auszukippen. War dessen Ruf erst einmal durch Media und Social Media ruiniert, konnten Verantwortliche wie Karl Lauterbach sich genüsslich zurücklehnen und behaupten, Ioannidis sei „extrem umstritten“, daher würde nicht zählen, was er sage. So einfach ist das, und es funktioniert leider bis heute.

Der Film ist allerdings keine „Opferstory“, sondern ein bebildertes Interview, in welchem sich Ioannidis so äußert, wie er es immer tut: sehr freundlich, sehr diplomatisch, sehr sachlich. Keineswegs plaudert er aus dem seelischen Nähkästchen, gibt wenig von seinen Gefühlen preis. Doch genau das macht ihn so sympathisch. Er scheint ein taktvoller, uneitler Mensch zu sein, der andere nicht über Gebühr mit seinen Befindlichkeiten behelligen mag.

Daher muss man schon genau hinhören. Denn das Schlimme, das ihm widerfahren ist, erwähnt er fast en passant – so zum Beispiel Todesdrohungen oder dass seine Mutter aufgrund des Stresses infolge der Rufmordkampagne beinahe gestorben wäre. Ioannids sagt ziemlich zu Beginn des Films, dass er auf diese heftigen Kampagnen nicht im mindesten vorbereitet war. Sie müssen ihn wie ein Schlag getroffen haben.

Ein weiteres Opfer von Rufmord ist der Chemie-Nobelpreisträger Michael Levitt. Ähnlich wie Ioannidis hatte er im Frühjahr 2020 aus den Daten des in Quarantäne liegenden Kreuzfahrtschiffes Princess Diamond geschlossen, dass SARS-CoV-2 kein Killervirus sein konnte. Hier ist Levitts Youtube-Kommentar zum Film :

Obwohl also wenig Gefühliges im Film vorkommt, zeigt er doch, was für ein liebenswerter Mensch Ioannidis offenbar ist. Diesen Eindruck hatte ich allerdings schon durch seine vorigen Video-Interviews gewonnen, von denen sich das Interview im Film nicht wesentlich unterscheidet.

Was seine inhaltlichen Positionen betrifft, muss man auch hier sehen, dass er sich stets sehr abwägend und vielschichtig ausdrückt. Wichtige Dinge werden bei ihm oft im Nebensatz oder ohne besondere Betonung ausgesprochen. Ich bin der Meinung, dass er ein zu positives Bild der Wissenschaft hat. Dass sie dadurch gekennzeichnet sei, Fehler und Irrtümer in den Dienst des Wissensfortschritts zu stellen, halte ich schlicht für einen Mythos.

Gar nicht nachvollziehen kann ich seine Position zur Covid-„Impfung“. Er vermag anhand der Daten nicht zu erkennen, dass diese „Impfungen“ ein verheerendes Nebenwirkungsprofil haben. Mir hingegen ist nicht klar, wie man das übersehen kann. Da Ioannidis sich aber grundsätzlich gegen jeden Zwang und Druck ausspricht, könnte man dies offen mit ihm diskutieren. Einen kompetenteren und zugleich faireren Gesprächspartner wird man meinem Eindruck nach kaum finden.

Ich würde zum Beispiel gerne mit ihm über seine Behauptung diskutieren, die Anzahl von Nebenwirkungs-Meldungen sei im Falle der Covid-Impfung durch öffentliche Aufmerksamkeit (netto) nach oben verzerrt. Diese Behauptung bestreite ich – wie ich meine – mit guten Argumenten (siehe mein imaginärer Brief an den Gesundheitsminister, etwa in der Mitte des Textes).

Fazit: Der Film ist sehenswert. Wer allerdings auf ein Porträt der Marke „Ioannidis privat“ hofft, wird sicher enttäuscht sein. Für mich ist das filmische Drumherum entbehrlich – die Szenen mit Kindern, Jugendlichen und ähnliches. Knuffig finde ich die Szenen, in denen Ioannidis durch Berlin stapft oder es sich in Griechenland gut gehen lässt.

Mir hätte auch eine einzige Kameraeinstellung und ein pures Interview gereicht. Aber das wäre wohl zu puristisch gewesen.

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[1] Vgl. Peter C. Gotzsche, Impfen – Für und Wider, 2. Aufl., München 2021, S. 192.