Unendliches Leid der Zungen
Der Ausdruck stammt vom Psychologen Richard Ryder, welchem laut eigenem Bericht in der Badewanne plötzlich die Erleuchtung kam, alle Welt mit einem neuen Zungenbrecher zu beglücken, obwohl diesbezünglich bereits Fischers Fritze und Co. hervorragende Dienste leisten. „Speziesismus“ ist also ein Geschenk von jemandem, der zu heiß gebadet hat, für Leute, die zu heiß gebadet sind.
Inhaltlich handelt es sich dabei um einen schlichten Kategorienfehler, den jeder erkennen kann, der seinerzeit in der Sesamstaße „Eins von den Dingen ist nicht wie die anderen“ geschaut hat. „Speziesismus“ ist onomatopoetisch Begriffen wie Rassismus und Sexismus nachgebildet. Er soll so etwas bedeuten wie: Bevorzugung des Menschen nur aufgrund seiner Spezieszugehörigkeit. Das allerdings ist ein Strohmann. Die Spezieszugehörigkeit fungiert nämlich als Kriterium, nicht als Grund. Der Grund, warum Menschen moralischen Status und Menschenrechte haben, liegt in bestimmten Eigenschaften, die nur Menschen besitzen (dazu gleich mehr).
Lassen wir also den Strohmann weg, lautet das Argument der „Antispeziesisten“ folgendermaßen: So, wie (z.B.) Farbige und Frauen diskriminiert wurden und werden, würden auch bestimmte Tierarten diskriminiert – und zwar mit Hilfe eines Kriteriums, welches nur dem Zweck diene, ihnen moralischen oder gar rechtlichen Status vorzuenthalten. Dieses Kriterium ist die Vernunft. Für schlichte Gemüter ist das natürlich einleuchtend. Mit der Vernunft ist es auch bei ihnen nicht weit her; außerdem klingt „Speziesismus“ ähnlich wie „Sexismus“ und „Rassismus“, allerdings auch wie „Feminismus“. Die Probleme, das Wort korrekt auszusprechen, beanspruchen bereits die gesamte geistige Kapazität derjenigen, die „Speziesismus“ für ein Zauberwort halten, das alle Gegner in Acht und Bann schlägt. Sie sind so stolz darauf, dieses Wort überhaupt zu kennen, dass sie gar nicht verstehen, wie jemand davon nicht beeindruckt sein kann.
Finde den Fehler
Rassismus und Sexismus sind als Begriffe auf Menschenwürde und die damit begründeten Menschenrechte bezogen. Worin besteht die Menschenwürde? Sie besteht darin, dass Menschen in der Lage sind, über ihre Belange selbst zu bestimmen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, Wünsche zweiter Ordnung zu haben, also höherstufige Wünsche auf Wünsche niedrigerer Stufe beziehen und letztere damit neutralisieren zu können.
Wichtig: Kein Tierphilosoph, kein Tierbefreier, kein Tierrechtler, kein Verhaltensbiologe behauptet, dass diese Fähigkeit bei Tieren nachgewiesen ist. Keiner! Das verwundert auch wenig, denn hätten Tiere diese Fähigkeit, könnten sie über ihre Belange selbst bestimmen und wären damit Urheber ihres Tuns. Dieses müsste ihnen dann nolens volens als Verdienst oder Verschulden zugeschrieben werden. Sie wären damit auch im juristischen Sinne voll verantwortlich.
Das Argument gegen Rassismus und Sexismus ist, dass sowohl (z.B.) Farbige als auch Frauen nachweislich oben genannte Fähigkeit durchschnittlich in gleichem Maße haben wie weiße Männer. Sie haben die gleiche Würde. Ihnen müssen daher Menschenrechte in gleichem Maße gewährt werden, wie sie auch weißen Männern gewährt werden. Diskriminierte Menschen werden in der Regel von außen daran gehindert, über ihre Belange selbst zu bestimmen. Andere Entitäten – Tiere, Pflanzen, Steine, Artefakte – werden von innen daran gehindert, da sie konstitutionell dazu gar nicht in der Lage sind. Ihnen wird also durch „Ungleichbehandlung“ nichts genommen. Im Gegenteil: Ungleiches ungleich zu behandeln, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Nur Menschen können diskriminiert werden. Bei anderen Entitäten hat der Begriff keinen Sinn.
Schwamm drüber?
Kommen wir zurück auf die Sesamstraße: Eins von den Dingen ist nicht wie die andern. Rassismus und Sexismus gehören, da sie auf benannte Fähigkeit bezogen sind, in ein und dieselbe Kategorie. „Speziesismus“ hingegen bezieht sich auf andere Fähigkeiten bzw. Eigenschaften, bei Ryder explizit auf die Leidfähigkeit. Der Begriff wird also uneigentlich, bloß in Analogie verwendet. Gleichwohl treten diejenigen, welche ihn verwenden, so auf, als wäre tatsächlich eine logische Äquivalenz vorhanden.
So etwas nennt man einen „performativen Selbstwiderspruch“. Der „Sprechakt“, also die sprachliche Performance, passt nicht zum Inhalt. Erst recht passen alle manifesten Aktivitäten von Tierbefreiern, Tierrechtlern und ähnlichen nicht zum Inhalt dessen, womit sie diese Aktionen begründen. Sie passen nur in dem Sinne dazu, dass umso lauter geschrien, umso brutaler gehandelt wird, je schlechter die rationale Begründung ausfällt.
Nun ist Leidfähigkeit eine weit schwammigere Bestimmung als die Fähigkeit zu Wünschen zweiter Ordnung. Letztere ist definitorisch klar und empirisch evident – also so offensichtlich, dass sie keiner expliziten Begründung bedarf. Alle unterstellen diese Fähigkeit im täglichen Leben, auch Tierrechter und Co. Andernfalls hätte es für sie keinen Sinn, die „bösen Fleischesser“ bekehren zu wollen. Diese könnten ihren Wunsch niederer Ordnung nach Fleisch gar nicht durch den Wunsch höherer Ordnung neutralisieren, den Fleischkonsum zu unterlassen. Aus rationaler Perspektive stellt sich also die Frage, warum man eine derart klare und trennscharfe Bestimmung durch eine unklare und unscharfe ersetzen sollte.
Alle töten?
Diese Frage ist umso dringlicher angesichts des Umstands, dass die „Antispeziesisten“ mit ihren unklaren Bestimmungen in der Regel umfassende Tötungsverbote begründen wollen. Es ist aber gar nicht ohne Widerspruch möglich, aus der unterstellten Leidfähigkeit ein generelles Tötungsverbot abzuleiten. Schlimmer noch. Ist Leidvermeidung oberstes oder gar einziges Prinzip, kann der Konsequenz umfassender Tötungsgebote nur schwer ausgewichen werden (negativer Utilitarismus). Um dieser Konsequenz auszuweichen, sind umständliche Rechnungen über Nettoleid oder Durchschnittsleid vonnöten, die niemals so verbindlich sein können wie die auch von Tierrechtlern de facto anerkannte Menschenwürde im oben genannten Sinn.
Der Tatsache, dass Tiere leiden können, wird bereits im traditionellen Tierschutz Rechnung getragen. Der Tierschutz ist Ausdruck von Milde und Gnade, nicht von streng rationaler Ethik. Streng rational kann immer nur der moralische Status von Menschen begründet werden, einschließlich des Tötungsverbots bzw. des Lebensrechts. Wer es mit anderen bekannten Entitäten versucht, wird immer scheitern. Die geistigen Verrenkungen der „Antispeziesisten“ sind arguemtativ aussichtlos und – nennen wir das Kind beim Namen – unglaublich dumm.
Splitter und Balken – das geht ins Auge!
Nehmen wir nur für einen Moment an, der Grund, Menschen die gleichnamigen Rechte sowie moralischen Status zuzugestehen, sei tatsächlich willkürlich und diene nur dem Zweck, alle anderen Entitäten draußen zu halten. Inwiefern wären dann die „antispeziesistischen“ Versuche rational überlegen? Denn das Gleiche kann man von jedem Versuch behaupten, der nicht allem und jedem, was in der Welt existiert, moralischen Status sowie Lebens- und Existenzrecht zuweist. Bildet man aus der Gesamtheit eine Teilmenge, dann bedeutet dies stets, den Rest auszuschließen.
Die Versuche der „Antispeziesisten“, sinnvolle Teilmengen zu bilden, sind schon aus logischen Gründen kläglich. Man kann all ihr Tun ebenfalls unter den Begriff „Speziesismus“ subsumieren – und zwar mit weit mehr Recht, als das Tun der vermeintlichen Speziesisten. Werden nur „leidfähige“ Wesen berücksichtigt, lässt sich dies ohne Weiteres als Diskriminierung anderer Entitäten darstellen. Schließlich wird ein „Feature“ herausgegriffen, bloß um die vermeintlich zum Leid Unfähigen draußen zu halten. Warum? Wer am lautesten Aua schreit, kommt in den Club?
Ulkigerweise hat Richard Ryder selbst das schöne Wort „Painism“ erfunden – zu Deutsch wohl „Schmerzismus“. Damit ist aber nicht etwa die Diskriminierung aller schmerzunfähigen Entitäten gemeint – zum Beispiel von Nacktmullen oder Menschen mit angeborener Schmerzlosigkeit. Ryder benutzt das Wort, um seine ethische Theorie zu begründen, wonach es der Zweck von Moral sei, ganz allgemein den Schmerz möglichst zu beseitigen, weil Schmerz laut Ryder das Übel schlechthin sei.
Darüber mag man streiten bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Und das ist als solches bereits ein Problem. Denn die traditionelle Ethik, gegen welche die „Antispeziesisten“ opponieren, arbeitet ja schon lange mit weitgehend unstrittigen Tatsachen. Nichts ist logisch so eng mit Moral verknüpft wie die Fähigkeit zu derselben. Diese Fähigkeit haben nach bisheriger Erkenntnis nur Menschen.
Lob und Tadel
Um auch hier für Klarheit zu sorgen: Moral bedeutet, nicht nur sichtbares Verhalten, sondern auch Absichten und Überzeugungen nach abstrakten Regeln zu bewerten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dies irgendein Tier könnte. Deshalb behauptet es auch kein Verhaltensbiologe. Eine kluge Tierrechtlerin wie Christine Kosgaard sagt klipp und klar, dass nur Menschen zur normativen Selbststeuerung fähig sind.
Das gestehen die „Antispeziesisten“ – siehe oben – selbst ohne Unterlass ein, da sie nicht auf die Idee kommen, ihre Lieblingstiere zu verklagen, wenn sie „Böses“ tun und Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag, Raub begehen. Diese Begriffe sind in Bezug auf Tiere genauso sinnlos wie die positiven Zuschreibungen, mit denen ethische Vegetarier nicht geizen. Der Schatten des Lobes ist aber der Tadel. Wo man nicht tadeln kann, kann man auch nicht loben.
Lange bevor die „Antispeziesisten“ mit ihrem Unfug anfingen, gab es bereits einen klaren Grund und ein klares Kriterium für moralischen Status und Menschenrechte. Grund ist die altbekannte Vernunft in Gestalt von Autonomie und Moralfähigkeit. Kriterium ist die Zugehörigkeit zu der einzigen Spezies, die dazu in der Lage ist: Homo sapiens.
Das von „Antispeziesisten“ gern geäußerte Argument der „Grenzfälle“ (marginal cases) wird hier nicht weiter besprochen. Nur so viel: Es trifft selbstverständlich auch auf alle denkbaren Entitäten zu, die außer Menschen moralischen Status bekommen sollen. Immer gibt es Exemplare, die Eigenschaft x oder y im Moment oder dauerhaft nicht haben. Menschen fehlt aber im Falle des Falles die Fähigkeit zur normativen Selbststeuerung nicht in identischer Weise, wie sie einem Tier oder einem Stein fehlt. Dazu mehr in meinem Buch.
Fazit
Wie immer und überall fallen Moralvegetarier in die Grube, die sie anderen graben. Ihr Tun besteht ausschließlich darin, ihre eigenen logischen und moralischen Probleme auf andere zu projizieren, anstatt sich einzugestehen, dass sie rational und moralisch auf verlorenem Posten stehen.