Das Böse oder das Blöde? Teil 2

In meinem Beitrag „Das Böse oder das Blöde“ habe ich Hanlons Rasiermesser besprochen – eine Faustregel, welche besagt, dass man nichts durch böse Absicht erklären solle, was auch durch Dummheit hinreichend erklärt werden könne. Das Hauptproblem von Hanlons Rasiermesser besteht darin, dass Dummheit und böse Absicht keine Gegensätze sind, also implizit eher gute Absicht gemeint ist. Die Vorstellung, dass Menschen es gut meinen, wenn sie Böses tun, ist ebenso weit verbreitet wie grundfalsch. Im letzten Beitrag hatte ich die Dummheit begrifflich von der Inkompetenz getrennt, bin aber auf die Inkompetenz nicht weiter eingegangen. Dies wird nun nachgeholt.

Beabsichtigter Schaden

Zunächst möchte ich erläutern, warum eine Heuristik, die bei verbal bekundeten Intentionen ansetzt, nicht viel taugt, um gravierende negative Resultate zu erklären, die einem offiziellen guten Zweck diametral gegenüberstehen. In einem Artikel zum Thema „Impfstoffe“ heißt es:

Das Unbegreifliche: Die Leiter der relevanten Zulassungsbehörden aus den eingereichten Unterlagen der Hersteller kannten die Toxizität der ,Impfstoffe‘ und auch deren Wirkungslosigkeit. Es bestand also bei denen, die wirklich Kenntnis der Unterlagen hatten, eine billigende Inkaufnahme, in jedem Land das Leben vieler tausend Menschen aufs Spiel zu setzen, ohne dass dem ein medizinischer Nutzen gegenübersteht.

Die Hauptverantwortlichen dürften den Schaden nicht nur billigend in Kauf nehmen, sondern direkt anstreben. Große Pharmakonzerne können sich keine Bevölkerung leisten, die nicht auf ihre Produkte angewiesen ist.[1] Mit dem Coronaregime haben solche Unternehmen die Chance bekommen bzw. mit erzeugt, ihre mRNA-Technologie bei der Weltbevölkerung anzuwenden. Die damit verbundenen Gesundheitsschäden schaffen ein Heer von Kunden, die man durch allerlei Repression zum Konsum weiterer gesundheitsschädlicher Substanzen nötigen kann. Teure Zulassungsverfahren werden vereinfacht, verkürzt und de facto abgeschafft. Ein perfektes perpetuum mobile, das aus sich selbst heraus immer neuen Gewinn abwirft. 

Die Macht von Pharmakonzernen ist groß genug dazu – die Anzahl williger Vollstrecker in Regierungen, überstaatlichen Organisationen, Medien, Bürokratie ebenfalls. Solche Unternehmen bzw. deren Führungspersonal handeln im Hinblick auf den Profit ökonomisch rational, aber nicht im Hinblick auf den angegebenen Zweck, die Gesundheit zu schützen. Der immense Schaden fungiert als Mittel zum Zweck des eigentlichen Ziels. Das macht die dahinterstehende Absicht nach allgemeinem Verständnis böse. 

Hanlons Rasiermesser verhindert nicht nur, die eiskalte Logik dahinter zu erkennen, sondern verschleiert den offenkundigen Tatbestand, dass Verantwortliche in Konzernen und Behörden diese Logik ebenso eiskalt mit voller Absicht vollstrecken. Das Ausmaß an Skrupellosigkeit und Korruption im pharmazeutisch-medizinischen Komplex, einschießlich der betreffenden Wissenschaft wird dadurch massiv unterschätzt. 

Auch ist es plausibel anzunehmen, dass Maßnahmen wie Maskenpflicht, Testpflicht oder Ausschluss von Ungeimpften von Verantwortlichen bewusst ergriffen werden, weil sie den Menschen schaden. Der Schaden ist nämlich ein Nutzen für andere Zwecke – er nützt nicht nur den Herstellern von Masken oder Testkits; er nützt unter anderem auch den „Weltstrategen“ als Mittel, die Bürger an universale Überwachung sowie Gängelung zu gewöhnen und zum „freiwilligen“ Gehorsam zu erziehen.

Aus Sicht eines Gemeinwesens, das auf individuellen Freiheitsrechten beruht, sind solche Ziele gewiss böse, weil sie der Menschenwürde widerstreiten. Diese beruht darauf, dass menschliche Individuen in der Lage sind, über ihre Belange selbst zu bestimmen.[2] Missachtung von Menschenwürde und -rechten wird in unseren Breiten – zumindest offiziell – als großes moralisches Übel angesehen.

Betrug und Selbstbetrug

Der entscheidende Unterschied zu den meisten Konzepten der „bösen Absicht“ besteht in meinem Ansatz darin, dass darunter nicht nur Vorsatz und Eventualvorsatz verstanden wird, sondern auch Selbstbetrug. Es steht immer die Möglichkeit offen, sich über seine eigenen Intentionen zu betrügen, um moralischer Ächtung und harter Bestrafung vorzubeugen. Je wahrscheinlicher ein Fiasko wird und je gewaltiger es sich auftürmt, desto größer ist der Druck auf die Verantwortlichen, den Selbstbetrug dem Selbstmord vorzuziehen und auf Milde zu hoffen. 

Eine Denkstrategie, die angesichts massiver Verwerfungen bei den bekundeten Intentionen der Verantwortlichen ansetzt, hat daher wenig Erklärungskraft und taugt schon gar nicht zu moralischen Beurteilung. Dann müsste man wohl auch Erich Mielke glauben, der beteuerte, alle Menschen zu lieben und Humanist zu sein – oder dem Wolf, der Kreide gefressen hat, damit man ihn mit der lieben Großmutter verwechselt. 

Stattdessen schlage ich vor, von der Adäquanz verwendeter Mittel auf die Absichten der jeweiligen Verantwortlichen zu schließen. Taugen die Mittel nicht zu einem guten, aber optimal zu einem fragwürdigen oder schlechten Zweck, sollte vernünftigerweise von böser Absicht als kausal bestimmender Intention ausgegangen werden. Es müssen nicht alle, aber hinreichend viele und mächtige Akteure diese Intentionen haben.

Inkompetenz-Netzwerke

Der Begriff „Kompetenz“ ist weit gefächert. Ganz allgemein bezeichnet er eine gelungene Verbindung von Wissen und Können. In der juristischen und administrativen Sphäre bedeutet Kompetenz formale Zuständigkeit. Kompetenz wird oft implizit als eine Art Charaktereigenschaft angesehen. Man spricht dann ohne Bezug auf ein bestimmtes Fachgebiet von einer „kompetenten Persönlichkeit“. Doch Kompetenz an sich gibt es nicht. Sie erweist sich stets im Hinblick auf konkrete Zwecke. 

Der Arzt und Autor Gunter Frank spricht oft von „Inkompetenz-Netzwerken“, welche sich im Laufe der Jahre in wissenschaftlichen, politischen, administrativen Institutionen sowie im Wirtschafts- und Bildungssektor ausgebreitet haben und deren Mitglieder dort inzwischen wichtige Positionen besetzen.[3] Kennzeichnend für solche Netzwerke ist laut Frank, dass die Mitglieder ihren fehlenden Sachverstand durch Moralismus ersetzen.

Die betreffende Moral orientiert sich an der jeweiligen Gruppenzugehörigkeit, misst daher konsequent mit zweierlei Maß. Mitglieder bevorzugter Gruppen sind gut, weil sie zu diesen Gruppen gehören; Mitglieder verachteter Gruppen sind böse, weil sie zu diesen Gruppen gehören. Es liegt auf der Hand, dass sachgerechte Lösungen nicht gefunden werden, wo solche Normen herrschen.

Ich halte Franks Analyse für zutreffend. Es sollte aber nicht der Eindruck entstehen, dass mangelnde Kompetenz im Sinne von fehlendem Sachverstand für große Übel wie das Coronaregime verantwortlich ist. Solange es genug Personen mit Sachverstand gibt, die man um Rat bitten kann, ist das fehlende Fachwissen wenig problematisch (dazu später mehr). Hätte man auf John Ioannidis statt auf Neil Ferguson gehört, wäre nichts Schlimmes geschehen. Es gibt handfeste Gründe, warum nicht auf Ioannidis gehört wurde. Diese Gründe sind allerdings kaum mit guter Absicht´ in Einklang zu bringen.

Inkompetenz-Netzwerke verbindet in der Regel eine fixe Heilsidee. Sie suchen, vergrößern und schaffen daher Probleme, die einer von vornherein feststehenden, möglichst unerfüllbaren und möglichst sachfernen Lösung entsprechen, auf welche sie allein das Patent haben. Dies wiederum ist eine Strategie, illegitime Herrschaft zu erlangen und zu festigen. Je ungeeigneter die Lösung, je stärker das Heilsversprechen, desto praktischer ist es hinsichtlich des Herrschaftsinteresses, andere zum permanenten Versuch zu verpflichten, diese (Er-)lösung herbeizuführen. 

Mitglieder solcher Netzwerke täuschen nicht in erster Linie Kompetenz, sondern gute Absicht vor. Sie stellen sich nicht als besonders sachkundige, sondern als besonders gute Menschen dar. Demonstrativer, aggressiver Moralismus ist entweder bewusste Täuschung über unlautere Intentionen oder das Resultat harter Betrugsarbeit am eigenen Selbst – genau das, was Kant als „radikal böse“ bezeichnet. Es kann anhand solcher Gruppen in Reinform studiert werden. Die überzeugten Mitglieder – nicht die Zyniker unter ihnen – machen sich „blauen Dunst vor“. Niedere Motive werden des inneren Saales verwiesen, weil sie so stark sind. Als edle Motive und höhere Moral verkleidet ziehen jedoch so triumphal wieder ein wie die Königin von Saba und machen es sich auf dem Thron gemütlich.

Zwar windet man sich bisweilen wohlig in scheinheiliger Zerknirschung – aber nur, um zu betonen, dass die anderen wahre Teufel sind. Dieser Selbstbetrug dient der moralischen Lizenzierung zu allen erdenklichen Untaten. Als Rechtfertigung werden höhere Ziele der Weltrettung und -erlösung verkündet und mit paradoxen, also unerfüllbaren Geboten verbunden. Da man eine höhere Moral sein Eigen nennt, braucht man die herkömmliche nicht zu beachten. Alle niederen Motive streifen irgendwann ihre edlen Hüllen ab und richten sich zu veritablen Ungeheuern auf, die Abermillionen Menschenleben vernichten, wenn man sie lässt. 

Kompetent ist, wer zuletzt lacht 

Die nackte Lust, andere Menschen zu beherrschen, in jeder Sekunde über deren Wohl und Wehe, über Leben und Tod zu entscheiden, dringt solchen Leuten aus jeder Pore, und zwar schon dann, wenn sie noch kleine machtlose Nobodys sind, die „keine Macht für Niemand“ skandieren und dabei das „außer mir“ verschweigen. Die erwähnte Parole stammt von der Band Ton Steine Scherben. Deren Managerin war Claudia Roth – prominentes Mitglied eines Inkompetenz-Netzwerks. Frau Roth hat es trotzdem oder gerade deswegen sehr weit nach oben geschafft.

Fehlender Sachverstand ist hier Mittel zum Zweck und ein Zeichen von Stärke. Über Sachverstand müssen nur die niederen Chargen verfügen. Sobald also der Marsch durch die Institutionen erfolgreich abgeschlossen worden ist, wird die Macht des fehlenden Sachverstandes hemmungslos ausgespielt. „Ich weiß nicht, wie das geht. Machen Sie es gefälligst möglich, sonst gnade Ihnen Gott!“ Wen interessiert dann noch der Unterschied zwischen Kobalt und Kobold, zwischen Namibia und Nigeria? Sollen sich die Untertanen doch für klüger halten als die Herrscher. Sollen sie ihren Spaß haben — aber wir bestimmen, wann ihnen das Lachen vergeht!

Auch in den Inkompetenz-Netzwerken dürfte es eine große Anzahl von Beteiligten geben, welche sich keineswegs selbst betrügen, sondern die jeweilige Ideologie bewusst nutzen, um ihren Einfluss und Kontostand zu erhöhen. Das funktioniert nicht nur im Gesundheitsbereich. Es funktioniert noch besser mit dem vermeintlichen Klima- und Naturschutz. 

Zerstörungs-Kompetenz 

Aus diesem Grund ist es verfehlt, Politikern wie Habeck oder Baerbock Inkompetenz zu attestieren, bloß weil sie keine spezifische Sachkunde haben. Gute Minister brauchen keine spezifische Sachkunde. Ihre Kardinalkompetenzen sind Urteilskraft und Entscheidungsfreude. Fehlende Sachkunde taugt, wie erwähnt, hervorragend dazu, die eigene Macht zu demonstrieren und auszubauen. Dies kann anhand extremer Beispiele wie Hitler, Stalin oder Mao gezeigt werden. Niemand kommt auf die Idee, an ihnen in erster Linie mangelnde Sachkunde zu kritisieren. Man beklagt vor allem ihre abgrundtiefe Bosheit.

Habeck mag keine Ahnung von Wirtschaft, Baerbock keine Ahnung von allem haben. Kompetent sind sie als formal Zuständige allein schon kraft ihres Amtes. Dies gilt auch für Karl Lauterbach, der zusätzlich eine passende formale Ausbildung hat, um als sachkundig im engen Sinne zu gelten. Habeck, Baerbock und Co. sind alles andere als unqualifiziert, ihre Ziele zu verwirklichen. Sie sind vielmehr besonders kompetent, das Land zu ruinieren. Genau dies ist der kaum verschleierte Zweck all ihrer Übungen. Sie drücken es nur etwas blumiger aus. Der Wohlstand soll mit Hinweis auf ein Goldenes Mondkalb namens „Klimaschutz“ drastisch vermindert werden. Damit die Leute dieses Ziel bejahen, wird ihnen erzählt, es werde eine Art „Wohlstand der Herzen“ geschaffen – getreu der Rilke-Weisheit, Armut sei „ein großer Glanz aus Innen“.

Mit orwellscher Rhetorik, paradoxen Forderungen lullen sie die Bürger ein und zermürben zugleich ihre Kritiker. Man kann ihnen nicht absprechen, darin höchst kompetent zu sein. Wie viel Reflexion jeweils im Spiel sein mag, ist zweitrangig. Das Genie schafft unbewusst. Seine Werke werden ihm auch dann zugeschrieben, wenn es sich selbst als Instrument Gottes bezeichnet. So schaffen scheinbar inkompetente Akteure ein Meisterwerk der Zerstörung nach dem anderen.

Keine Übertreibung

Dies sollte nicht als sarkastische Überspitzung meinerseits missverstanden werden. Es folgt streng aus meiner oben empfohlenen Faustregel, von den verwendeten Mitteln auf den Zweck und von dort auf die Absicht der Akteure zu schließen. Die hierzulande getroffenen Corona- und Klimaschutzmaßnahmen sind optimal geeignet für Herrschafts- und Gewinninteressen, aber kaum geeignet, konkrete Probleme im Hinblick auf das zu lösen, was traditionellerweise – nicht im Sinne von Orwells Neusprech – unter dem Wohl der Bürger verstanden wird. 

Aus den absichtlich geschaffenen Problemen folgt eine Reihe weiterer gravierender Probleme, von welchen sich die Inkompetenz-Netzwerke nähren, um größer und mächtiger zu werden. Denn infolge ihrer Propaganda werden die Probleme nicht auf das Wirken dieser Netzwerke zurückgeführt, sondern stigmatisierten Gruppen zugeschrieben und als Aufforderung verstanden, Maßnahmen zu verschärfen und Defätisten zu neutralisieren. Coronaregime, Energiewende oder ähnlich katastrophale Unternehmungen bleiben somit stets „im Felde ungeschlagen“ und können – wenn überhaupt – nur per „Dolchstoß an der Heimatfront“ scheitern. Solange die Medien mitmachen, wird dieser Zirkel nicht durchbrochen, die Lawine nicht gestoppt.

Das alles sind keine Geheimnisse, sondern einschlägig bekannte Macht- und Herrschaftsstrategien. Was also ist so abwegig an dem Gedanken, dass gerade die mächtigsten Akteure bzw. deren Berater diese Mechanismen genau kennen und mit voller Absicht nutzen? Abwegig erscheint vielmehr der Gedanke, solches Wissen werde nicht zu illegitimen Zwecken genutzt, obwohl es hervorragend dazu geeignet ist.

Das pawlowsche Volk

Kommen wir nun zur Bevölkerung. Wie steht es mit ihrer Inkompetenz, also der Unfähigkeit, kolossale Schäden wie die durch das Coronaregime verursachten erstens zu erkennen und zweitens ihnen entgegenzuwirken? 

Was das Erkennen betrifft, wird oft auf Mechanismen der Massenmanipulation hingewiesen, welche Menschen in den Panikmodus versetzen und deren Verstand blockieren. Meiner Erfahrung nach spricht nichts für obige Behauptung. Es mag sein, dass in akuter Panik der Verstand nicht mehr arbeitet. Doch die Menschen sind nicht in akuter Panik, wenn sie wohlig auf der Couch vor sich hindämmern und sich mit den neuesten apokalyptischen Nachrichten berieseln lassen. Sie bekommen allenfalls Furcht. Furcht blockiert den Verstand nicht, ist oft das Resultat korrekten Verstandesgebrauchs. 

Treffender erscheint der Vergleich zur Hypnose. Durch Berieselung mit den immergleichen Botschaften lassen die Leute sich möglicherweise in eine Art Trance versetzen. Doch Hypnose funktioniert nicht bei allen. Sigmund Freud gab sie genau aus diesem Grund auf. Ein Hypnotiseur sagte mir einmal, sie funktioniere bei nur etwa sechzig Prozent.[4] Sein Versuch, mich in Trance zu versetzen, scheiterte vollständig, obwohl ich keinerlei inneren Widerstand dagegen hatte – im Gegenteil. Wenn die Prozentangabe des Hypnotiseurs näherungsweise stimmt, hat man vielleicht ungefähr die Anzahl derer, die aufgrund medialer Berieselung alle Coronamaßnahmen entweder aktiv bejahen oder ohne inneren Widerstand über sich ergehen lassen.

Die Botschaften werden zwar eingehämmert, aber die meisten Konsumenten nehmen sie in einem semipassiven oder halb abgelenkten, meist entspannten Zustand auf – vor dem Fernseher, beim Radiohören, bei der morgendlichen Zeitungslektüre. Wer die mediale Angstpropaganda allerdings in sich selbst zur Panik steigert, ist offenbar übermotiviert. 

Trotz allem gibt es nicht das geringste kognitive oder emotionale Problem, auf solche Propaganda mit Skepsis zu reagieren. Jeder weiß, dass man nicht alles glauben kann, was die Medien verbreiten. Jeder weiß, dass Medien schlechte Nachrichten als gute Nachrichten betrachten. Jeder weiß, dass viele Journalisten voreingenommen und skrupellos sind. Jeder weiß, dass Bilder manipulativ eingesetzt werden können. Nichts davon zu glauben, was in den Leitmedien berichtet wird, ist sogar besser, als alles zu glauben. 

Leckerli für alle!

Die vielbeschworene Massenmanipulation funktioniert offenbar nicht als Einbahnstraße. Sie trifft anscheinend auf Individuen, die gewillt sind, in einen seelischen Ausnahmezustand zu geraten. Wenn sie sich zu Pawlowschen Hunden machen lassen, rechnen sie – genau wie Letztere – mit einer Belohnung. Diese bekommen sie in vielerlei Gestalt.

Die Neigung der Menschen, auch Angehörige der eigenen Gruppe zu schikanieren, könnte ein evolutionäres Erbe sein. Bei vielen Säugetieren, die in Gruppen leben, ist dies jedenfalls ganz normal – zum Beispiel bei Schimpansen. Das Ausleben solcher Neigungen kann als Belohnung im oben genannten Sinne interpretiert werden. Aggressionen dürfen hemmungslos ausagiert werden, wenn sie mit der „Angst vor Corona“ gerechtfertigt erscheinen; man darf nun Angehörige und Schutzbefohlene foltern, die eigenen Kinder traktieren, die Alten verkümmern lassen, und wird dafür noch als moralisches Vorbild bejubelt. Lehrer können sich an Schülern rächen, die ihnen zuvor auf der Nase herumgetanzt sind, Verkäufer an ihren Kunden usf.

Das ohnehin grassierende Münchhausen-Syndrom, das schon mit Hilfe von Veganismus und Ökologismus ganze Generationen von Kindern zugrunde richtet, wird nun endgültig zur vorbildlichen seelischen Disposition. Je kränker man die eigenen Kinder macht, desto mehr narzisstische Zufuhr bekommt man. Man schädigt sie durch Panikmache, mit Masken und „Impfungen“; die Kleinen werden daraufhin immer kränker, bekommen Depressionen und Verhaltensstörungen. Die Eltern aber ernten Bedauern und Lob dafür, wie tapfer sie damit umgehen, dass der Nachwuchs nun so schwer unter „Long Covid“ leidet. 

Das Ganze hat etwas von einem Rausch. Viele Menschen sind unter dem Coronaregime sichtlich in ihrem Element. Es bereitet ihnen Hochgefühle, Teil einer verschworenen Schicksalsgemeinschaft zu sein („Gemeinsam gegen Corona!“). Gerade linksalternative Pseudoindividualisten haben endlich einen angemessenen Vorwand gefunden, im Gleichschritt zu marschieren. Die Reihen fest geschlossen. 

Andere zu denunzieren, ins Elend zu stürzen, zu stigmatisieren, zu marginalisieren ist auf einmal erste Bürgerpflicht, lustvoller Sauerstoffentzug keine sexuelle Anomalie mehr, sondern Volkssport Nr. 1. Im Ausnahmezustand werden die Karten neu gemischt. Nicht wenige hoffen wahrscheinlich auf eine höhere Position innerhalb der gesellschaftlichen Hierarchie. Die Manipulierten haben also durchaus eine Menge davon, wenn sie nur über hinreichend unlautere Neigungen verfügen.

Bestimmend ist meinem Eindruck nach weniger die Panik, sondern die Erlaubnis, einer konstruierten feindlichen Gruppe den Garaus zu machen, hemmungslos in strikten Freund-Feind-Schemata zu denken und zu agieren. Damit fühlt man sich in der Eigengruppe umso mehr aufgehoben. Ganz grundsätzlich tun Menschen so etwas, weil es ihnen schlichtweg Lust bereitet. Das, was wir heute so hochtrabend „Empathie“ nennen, galt immer nur für die Eigengruppe und ist historisch gewachsen. Man kann es leicht ausschalten oder herunterdimmen.

Wir können auch anders!

Wenn von Kompetenzen, also Fähigkeiten,[5] die Rede ist, muss zwischen Fähigkeiten erster und zweiter Ordnung unterschieden werden.[6] Alle menschlichen Individuen haben die Fähigkeit zweiter Ordnung, Gründe abzuwägen und ihr Tun daran auszurichten – ganz unabhängig davon, wie sehr ihnen die Fähigkeit erster Ordnung aktuell oder gar dauerhaft abgehen mag. Außer in akuter Panik können sie jederzeit einen Schritt beiseitetreten und sich kritisch begutachten.[7] Dieser Erkenntnis folgend steht in der UN-Menschenrechtscharta, dass alle Menschen zu Vernunft (und Gewissen) begabt sind. 

Ziehen wir nun diejenigen Individuen ab, welche nicht die Fähigkeit erster Ordnung haben, bleibt eine überwältigende Mehrheit mindestens normal intelligenter, einsichts- und steuerungsfähiger Personen übrig. Diese müssen weder selbst Experten sein noch über mehr als oberflächliche Sachkenntnis verfügen, um sich ein hinreichend rationales, vorläufiges Urteil bilden zu können.[8] In der Regel genügen der gesunde Menschenverstand und die grobe Kenntnis einiger zentraler Sachverhalte. 

Vergegenwärtigen wir uns, dass massive totalitäre Übergriffe wie die Corona- oder Umweltschutzmaßnahmen immer auf (negativen) Prognosen von Experten beruhen. Experten sind aber keine sonderlich guten Prognostiker. Bei Prognosen über Dreijahresfrist sind sie nicht besser als Laien, die einfach raten. Der Psychologe Philip E. Tetlock, der die umfassendste empirische Untersuchung zum Thema vorgelegt hat, spricht überspitzt von Schimpansen, die Dartpfeile werfen.[9] Aus seiner Studie folgt zum Beispiel logisch, dass die apokalyptischen, langfristigen Prognosen bezüglich des Klimas barer Nonsens sind. Gleichwohl werden damit drastische Maßnahmen begründet. 

Zwar sind Experten bei kurzfristigen Prognosen bis zu einem Jahr etwas besser. Dennoch gibt es keinen Grund, solche Vorhersagen als Evangelium anzusehen und Handlungsanweisungen blind zu folgen, die auf solchen Prognosen beruhen. Das gilt besonders dann, wenn die betreffenden Experten Interessenskonflikte haben, was sehr oft der Fall ist. Vertrauen in Experten ist umso weniger berechtigt, je mehr diese sich auf extreme und langfristige Prognosen stützen, die schnelles und drastisches Handeln erforderlich erscheinen lassen. Von Regierungen bestallte Experten ähneln oft Priestern, Sehern oder Orakeln; ihre „Wissenschaft“ kann kaum vom Hokuspokus unterschieden werden.

Hinzu kommt, dass laut Tetlock starke gesellschaftspolitische Überzeugungen die Prognosefähigkeit zusätzlich verschlechtern. Es ist also doppeltes Misstrauen geboten, wenn Experten solche starken Überzeugungen vor sich hertragen, zum Beispiel beim Thema Umwelt- und Klimaschutz. Und tatsächlich sind die Prognosen solcher Leute fast immer vollkommen falsch, was ihnen jedoch nie schadet. Ähnliches mag für Experten gelten, die Corona als „Chance“ betrachten, die Welt umfassend zu verändern. Auch deren Prognosen sind mit ziemlicher Sicherheit falsch. Beim Thema Corona dürfte aber blanke Korruption der Experten die Hauptrolle spielen.

Hier das Resultat unvoreingenommener Analyse:

Professor Kraus ist selbst ein sehr qualifizierter Fachmann. Er spricht gelassen aus, was im Grunde jeder weiß. Außer Intellektuellen. Die glauben lieber an den Weihnachtsmann.

Gute Prognosen hingegen werden von Personen erstellt, die intuitive oder bewusste Bayesianer sind, das heißt mit subjektiven, bedingten Wahrscheinlichkeiten arbeiten, und insgesamt offen und skeptisch sind.

Die vorläufigen Urteile des natürlichen Berstandes können im Sinne einer bayesianischen Basiswahrscheinlichkeit Ausgangspunkte genauerer Analyse sein, bei welcher jene Urteile mit den hinzukommenden Kenntnissen immer wieder abgeglichen werden. Denn im Kern kommt es auf die Wahrscheinlichkeit an, mit welcher Ereignisse eintreten – zum Beispiel hundert Millionen oder nur hundert Covid-Tote. Die vorläufigen Urteile des natürlichen Verstandes reichen schon zu Beginn aus, um eine Ergebnisoffenheit zu etablieren, die den extrem einschneidenden Maßnahmen den Charakter des Alternativlosen nehmen. Allein dadurch fällt das ganze Kartenhaus sofort in sich zusammen.

Unbildung schlägt Bildung

Wie Arthur Schopenhauer feststellte, kann natürlicher Verstand fast jeden Grad an Bildung ersetzen, aber keine Bildung den natürlichen Verstand. Über natürlichen Verstand verfügen auch und vor allem Ungebildete. Das Bestreben von Gebildeten ist es, den Ungebildeten diesen Verstand auszutreiben, um sich selbst als Elite an die Spitze der Hierarchie zu setzen. Dazu muss unablässig und auf allen erdenklichen Wegen Propaganda gemacht werden. Man darf nicht vergessen, dass katastrophale gesellschaftliche Phänomene wie zum Beispiel der Nationalsozialismus von Gebildeten ersonnen wurden. Der arische Mythos zum Beispiel kam durch Linguisten in die Welt. Das gesellschaftliche Unheil kommt meist von oben. Wird die Propaganda nur einen Moment lang unterlassen, kommen die Normalbürger augenblicklich wieder zur Besinnung, während die Intellektuellen sich fühlen wie Fische in einem Teich, dem das Wasser abgelassen wurde. 

Jeder Ungebildete kann vollmundige Behauptungen über Corona und die Maßnahmen mit handfester Logik leicht auf Plausibilität prüfen. No rocket science required. Corona ist ein Killervirus? Warum sind dann nicht mehr Wohnungen frei? Warum sehe ich noch immer so viele muntere Greise auf den Straßen? Masken schützen? Warum werden die Leute dann trotzdem krank? Ist es nicht ungesund, wenn man nicht richtig atmen kann? Welchen Sinn haben Masken an der frischen Luft? Impfungen sind „hochwirksam“? Warum muss man sie dann ständig auffrischen? Warum kenne ich lauter Geimpfte mit Grippesymptomen? Man braucht wahrlich keine hohe Bildung oder hohe Intelligenz, um Ungereimtheiten wahrzunehmen. 

Neben das Dauerfeuer „schlimmer Bilder“ aus xy treten die immergleichen Experten, die das immer andere Immergleiche erzählen. Man verwendet wissend klingende Worte wie „Long Covid“, „Präventionsparadoxon“ oder „exponentielles Wachstum“, um die Arroganz der Gebildeten zu triggern und diese auf Ungebildete zu hetzen. Letztere müssen – weil meist in „systemrelevanten“ Berufen ohne Homeoffice tätig – die Suppe auslöffeln, zum Beispiel den ganzen Tag FFF-P-2-Masken tragen. Deshalb dürfen sie möglichst niemals auf richtige Gedanken kommen. Der natürliche Verstand muss beständig in Schach gehalten werden.

Fragwürdige Psychologie 

Es hat sich eine Vorstellung der menschlichen Seele durchgesetzt, welche in immer neuen Variationen die „Macht des Unbewussten“ beschwört. Dieses vor allem in der Romantik beliebte Konzept mag künstlerisch inspirierend gewesen sein, beruht aber wohl auf maßloser Übertreibung, Überschätzung und Überhöhung nichtbewusster Vorgänge in der Psyche.[10] 

Als überwertige Idee hält es sich bis heute ungebrochen und wird mit heiligem Ernst zum Beispiel in der Neurobiologie vertreten. Dies zeitigt unfreiwillig komische Resultate wie den mereologischen Fehlschluss, das menschliche Hirn zum Akteur und die Person zu dessen ausführendem Organ zu erklären. Damit gehen meist vollmundige Behauptungen über die vermeintlich nicht vorhandene Willensfreiheit einher.[11]

Es liegt auf der Hand, dass die Menschen in einem solchen Rahmen als willenlose, machtlose Objekte der Manipulation erscheinen und nicht mehr als Urheber ihres Tuns oder Zulassens gelten können. Doch es gibt keinen überzeugenden Grund anzunehmen, dass wir nicht Herr im eigenen Haus sind, bloß weil manche inneren Prozesse ohne aktuales Bewusstsein vonstatten gehen.

Es kostet einen alten, schwachen Menschen sicher mehr Energie, immerzu freiwillig mit einer FFF-P-2-Maske herumzulaufen, als im heimischen Sessel einmal über den Sinn dieser Übung nachzudenken. Eigenständiges Denken mag mehr Energie kosten als intuitive Urteile, tst aber jederzeit möglich. Wenn es jedoch auf äußeren Widerstand stößt, zum Beispiel bei tabuierten Themen, wird die Energie dazu gebraucht, sich anzupassen, also das Resultat eigenständigen Denkens bei Bedarf geheim zu halten oder in eine unbeleuchtete Ecke der Seele zu schieben.

Ist der Bedarf stetig, muss der Verstand dauerhaft gedeckelt werden. Je größer der gesellschaftliche Druck, desto größer die Neigung zur Anpassung. Will sagen: Es könnte ein Kalkül dahinterstehen, sich lieber von Propaganda einlullen zu lassen, statt dauerhaften Ärger zu riskieren. Denn die Furcht vor Ächtung und Ausschluss aus der Eigengruppe ist berechtigt und tief verankert.

Alle Psychologie, welche mit zahlreichen Experimenten das Gegenteil bewiesen zu haben glaubt, muss kritisch betrachtet werden, denn sie befindet sich in einer Replikationskrise. Viele ihrer Resultate finden in Kontrollexperimenten keine Bestätigung und sind daher nicht verlässlich. Die Ergebnisse werden aber in Abstracts, Presseerklärungen und populärwissenschaftlichen Büchern zu bedeutsamen Erkenntnissen aufgebläht. 

Auch das immer wieder erwähnte Milgram-Experiment sowie die Stanford-Prison-Studie beruhen auf fragwürdigem Design und Manipulationen seitens der Studienleiter, wie der Psychologe Stuart Richie im Detail nachweist.[13] Es ist heikel, auf solche Studien zu verweisen, wenn man damit etwas erklären will – allein schon deshalb, weil sie gar nichts erklären. Psychologie, welche Teil der Aufklärung sein will, wird rasch selbst zur Propaganda.

Wenn die „Corona-Krise“ eines gelehrt hat, dann wohl, dass subtile Propaganda, die mit Botschaften unterhalb der Bewusstseinsschwelle arbeitet, entbehrlich ist. Es genügt offenbar bloße Konditionierung. Diese spielt sich aber nicht unterhalb der Bewusstseinsschwelle ab. Die Menschen merken, dass sie mit solchen Botschaften bombardiert werden. Selbst Minderbemittelte können wahrnehmen, wenn ihnen etwas zu heftig eingeredet wird.

Warum sollten also mindestens normal intelligente Menschen dies nicht erkennen? In anderen Zusammenhängen durchschauen sie es schließlich mühelos. Man beobachte nur, mit welcher Spitzfindigkeit viele Befürworter der Coronamaßnahmen diese verteidigen; wie skeptisch sie sein können, wenn sie wollen. Sie brauchten nur einen Schritt zu tun und die Doppelstandards wegzulassen, schon wäre der Spuk vorbei. Doch diesen Schritt machen sie ganz bewusst nicht. Sie wissen genau, dass es der entscheidende Schritt zuviel wäre und sie ihre Position dann nicht mehr halten könnten. Sie wollen sie aber auf Biegen und Brechen halten, weil sie etwas davon haben.

Es sollte meines Erachtens wenigstens in Erwägung gezogen werden, dass die Menschen sich offenen Auges für dumm verkaufen und in die gewünschte Richtung lenken lassen. Dann läge der Akzent mehr auf den Motiven und Intentionen der Manipulierten, nicht der Manipulateure. Diese Motive und Intentionen sind vielschichtig, oft moralisch indifferent oder gar legitim. Aber es ist wahrscheinlich ein signifikanter Anteil böser Absichten im oben genannten Sinne am Werk. Da böse Absichten mehr durchschlagen als gute, könnten sie das Zünglein an der Waage sein. 

Im anderen Licht

Welche harten empirischen Daten, welche logisch zwingenden Theorien sprechen grundsätzlich gegen die Annahme, dass den Menschen insgesamt weit bewusster ist, was sie tun, als es den Anschein hat; dass sie mehr lügen, als sie sich selbst belügen; dass sie Gedanken wissentlich in Abseits schicken; dass sie ihre Manipulation zulassen, weil sie ihnen unterm Strich Vorteile bringt? Menschen lügen und täuschen andere Menschen gewohnheitsmäßig. Dazu benötigen sie ihren Verstand! Das gewohnheitsmäßige Lügen ist ein Produkt dieses gewohnheitsmäßigen Verstandesgebrauchs. 

Ich meine, dass man die Phänomene auch in diesem Licht betrachten und den Fokus auf bewusste Absicht richten kann, ohne Plausibilität einzubüßen. Die Menschen erscheinen dann weder als dumm noch inkompetent noch passiv, sondern als kompetente Individuen, die Entscheidungen treffen, deren Resultate ihnen persönlich und niemandem sonst zugeschrieben werden müssen. 

All diese Individuen sind ohne Weiteres in der Lage – also hinreichend kompetent – grobe Ungereimtheiten und grobe Unangemessenheit zu erkennen. Wer dies nicht tut, unterlässt es mit Absicht. Wer dies trotz offenkundigem Schaden aus Überzeugung nicht tut, unterlässt es mit böser Absicht. 

Wenn wir die kraft Amt und Stellung Verantwortlichen ausnehmen, kann in der Bevölkerung grob zwischen den Willigen auf der einen Seite sowie dem Rest auf der anderen Seite unterschieden werden. Erstere handeln eindeutig verwerflich, letztere entweder mit geringer oder gar keiner individuellen Schuld. Sie haben keine bösen Absichten, erkennen vielleicht nur die Aussichtslosigkeit ihrer persönlichen Lage und gehorchen dem Imperativ. Man kann von niemandem verlangen, sich für andere aufzuopfern. „Mitmachen“ ist nicht notwendig individuell schuldhaft, schon gar nicht dann, wenn die totalitären Verhältnisse hinreichend entfaltet sind, um für jeden eine existenzielle Bedrohung darzustellen. 

Schuld kann auch als überindividuelle Kategorie verstanden werden. Demnach tragen wohl alle, die sich nicht aktiv entgegenstemmen, eine Mitschuld. Doch diese entspringt in der letztgenannten Gruppe nicht böser Absicht oder Dummheit/Inkompetenz. Entscheidend ist meiner Meinung nach immer die Gesamtstärke böser Absichten im hier dargelegten Sinn.

Fazit

Weder Dummheit noch fehlende Sachkunde stehen im Gegensatz zur bösen Absicht. Es ist oft zweckrational, Schaden und Mangel absichtsvoll zu erzeugen, um moralisch zweifelhafte oder verwerfliche Ziele zu erreichen. Menschen handeln zweckrational. Namentlich im Falle des Coronaregimes finde ich es daher grotesk, den Verantwortlichen zu bescheinigen, sie seien guter Absicht, aber einzeln oder insgesamt zu unterbelichtet oder zu inkompetent, den immensen Schaden zu erkennen und abzuwenden, der durch Corona-Maßnahmen verursacht wird. Ebenso verfehlt scheint es mir zu sein, die Dummheit oder Inkompetenz der Bevölkerung als Erklärung zu favorisieren. Auch hier liegt böse Absicht als kausal wirkmächtigster Faktor am nächsten. Bezieht man den Selbstbetrug ein, gibt es keinerlei rationale Option mehr, böse Absicht als treibende Kraft zu vernachlässigen oder auszuschließen.

Hanlons Rasiermesser hingegen ist die zur Faustregel geronnene Naivität zweiten Grades. Es wird dort nicht mit der Dummheit oder Inkompetenz anderer gerechnet, sondern dazu aufgefordert, sich selbst im Gestus intellektueller Überlegenheit möglichst dumm zu stellen. Damit gehört es in den Bereich der Propaganda, nicht in den der Aufklärung. Vielleicht kann man es mit dieser Faustregel in totalitären Zeiten besser aushalten. Dann würde Hanlons Rasiermesser gerade wegen seiner Stumpfheit eine Art guten Zweck erfüllen. Glücklich wird man damit aber nicht werden.


[1] Vgl. dazu ausführlich Gerd Reuther, Heilung Nebensache, 2. Aufl. München 2021. 

[2] In einem anderem Wertesystem mögen sie als gut gelten. Die Begriffe gut und böse sind zwar relativ zum jeweiligen Wertsystem. Dennoch gibt es einige konstante Bestimmungen, die bei allen oder fast allen menschlichen Gemeinschaften zumindest in der jeweiligen Eigengruppe gelten. Das Thema kann hier nicht weiter vertieft werden. 

[3] Vgl. zum Beispiel Gunter Frank, Der Staatsvirus, Berlin 2021, Teil 3.

[4] Im Internet finde ich vor allem Behauptungen darüber, wie gut die Hypnose wirke. Diese bezieht sich aber auf Resultate nach gelungener Trance. Die Tatsache, dass viele Menschen sich trotz innerer Bereitschaft nicht in Trance versetzen lassen, wird von den Interessensvertreten als Mythos dargestellt. Ich vermute hingegen, dass „mein“ Hypnotiseur nicht unfähig, sondern ehrlich war und daher wohl richtig lag. 

[5] Ausführlich zum Begriff der menschlichen Fähigkeiten vgl. Russell DiSilvestro, Human Capacity and Moral Status, Heidelberg 2010.

[6] Vgl. Eric T. Olson, The Human Animal, Oxford 1997, S. 85 ff.

[7] Als menschliches Individuum hat bereits die befruchtete Eizelle zu gelten. Es ist kein potenzielles menschliches Wesen. Vgl. dazu David S. Oderberg, Applied Ethics, Oxford 2000, S. 8ff. Dies sieht auch der australische Bioethiker Peter Singer so. Er meint, dass die befruchtete Eizelle zwar ein menschliches Wesen, aber keine Person sei. Vgl. Peter Singer, Praktische Ethik, 3. Aufl., Stuttgart 2013, S. 224 ff.

[8] Rationale Urteile bleiben selbstverständlich immer vorläufig, können aber besser oder schlechter gestützt sein. Vor-Urteile sind nur dann schlecht, wenn sie sich von der Außenwelt abkapseln.

[9] Philip E. Tetlock/Dan Gardner, Superforecasting, Frankfurt am Main 2016, S. 10–12.

[10] Vgl. dazu ausführlich Philipp Hübl, Der Untergrund des Denkens, Reinbek bei Hamburg 2015.

[11] Vgl. Maxwell R. Benett/Peter M.S. Hacker, Die philosophischen Grundlagen der Neurowissenschaften, 3. Aufl., Darmstadt 2015. Vgl. auch Geert Keil, Willensfreiheit, 2. erw. Aufl., Berlin 2013. Vgl. ferner Brigitte Falkenburg, Mythos Determinismus, Heidelberg 2012.

[12] Vgl. Stuart Richie, Science Fictions, New York 2020. S. 25 ff. 

[13] Vgl. Ebd., S. 29 ff.

Das Böse oder das Blöde?

Oft habe ich in letzter Zeit den Satz vernommen: „Erkläre nichts durch böse Absicht, was durch Dummheit hinreichend erklärt werden kann.“ Dieses Gebot wird „Hanlons Rasiermesser“ genannt, obwohl Hanlon wohl keine reale Person ist. Es wirkt auf den ersten Blick ansprechend, weil es eine allgemeine Erfahrung auszudrücken scheint. „Nichts gibt so sehr das Gefühl der Unendlichkeit als wie die Dummheit“, lautet das Motto von Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“. Ich selbst habe dem Sprichwort spontan zugestimmt, bin dann aber ins Grübeln gekommen, ob es wirklich sinnvoll ist, der Dummheit statt der Bosheit einen derart hohen Stellenwert beizumessen. Schaut man genauer hin, ergeben sich starke Zweifel, ob diese Faustregel etwas taugt.

Unklares Explanandum

Mit der bösen Absicht und der Dummheit wird das Erklärende (Explanans) eindeutig benannt. Das zu Erklärende (Explanandum) bleibt jedoch nebulös. Was bedeutet „erkläre nichts …“? Ich verstehe es so, dass alles, was als Kandidat für böse Absicht in Frage kommt, eher mit Dummheit erklärt werden soll. 

Erich Kästners Romanfigur Fabian ertrinkt bei dem Versuch, einen Jungen vorm Ertrinken zu retten. Fabian kann nicht schwimmen, der Junge hingegen schwimmt allein zum Ufer. Dieser Rettungsversuch kommt als Kandidat für Hanlons Rasiermesser nicht in Frage, weil potenziell böser Wille selbst beim bösesten Willen hier nicht zu erkennen ist. 

Es bietet sich auf den ersten Blick an, den Rettungsversuch mit Dummheit zu erklären. Doch der Schein trügt. Fabian ist Moralist. Es könnte auch sein, dass er es im vollen Bewusstsein seiner Schwimmunfähigkeit wenigstens versuchen wollte, selbst wenn er dabei im wörtlichen Sinne untergeht. Der Versuch hätte dann als Übererfüllung der moralischen Pflicht zu gelten, wofür es das schöne Wort „Supererogation“ gibt. Diese wiederum kann nicht mit platter Dummheit gleichsetzt werden.[1]

Dummheit allein genügt nicht

Die Sache ist also kompliziert, wird aber noch komplizierter. In Hanlons Rasiermesser steht nämlich die böse Absicht auf der einen, die Dummheit auf der anderen Seite. Damit wird zumindest nahegelegt, dass sie einander ausschließen oder meist getrennt auftreten. Ob dumm oder klug – Menschen haben ohne Unterlass irgendwelche Absichten. Böse Absicht geht wahrscheinlich genauso oft mit Dummheit einher wie gute Absicht mit Klugheit et vice versa.

Pure Dummheit kann also gar nicht gemeint sein. Gemeint ist hier Dummheit plus gutem Willen. Hanlon hat also geschummelt. Mit böswilligen Dummköpfen weiß er nichts anzufangen, obwohl die Welt voll davon ist. Das wirft kein gutes Licht auf sein Rasiermesser.

Schärft man es, lautet der Satz: „Erkläre [im Hinblick auf das erklärte Ziel] negative Resultate nicht durch böse Absicht, wenn Dummheit plus gute Absicht hinreichen.“ Doch was soll die Dummheit noch in der Gleichung? Im Prinzip kann alles, was schief geht, hinreichend mit Dummheit plus guter Absicht erklärt werden. Man kann schließlich immer behaupten, die Beteiligten seien eben zu dumm gewesen, schädliche Konsequenzen ihres Tuns, Unterlassens oder Zulassens voll in den Blick zu nehmen, selbst wenn – wie beispielsweise beim Manhattan-Projekt – geniale Wissenschaftler beteiligt sind. 

Jegliche negative Konsequenz menschlichen Handelns mit Dummheit zu erklären, führt den Begriff ad absurdum. Schon Gustave Flaubert scheiterte mit dem Vorhaben, seine Enzyklopädie der menschlichen Dummheit zu vollenden. Das lag meiner Meinung nach nicht nur daran, dass er über dem Werk verstarb. Er wurde damit vielleicht auch deshalb nicht fertig, weil er den Begriff „Dummheit“ zu weit fasste. So verblasst in seinem letzten Roman „Bouvard und Pécuchet“ sukzessive die Pointe. Das One Trick Pony der menschlichen Dummheit wird langsam, aber sicher zu Tode geritten. Flauberts unvollendetes „Wörterbuch der Gemeinplätze“ listet Phrasen auf, die ich mit Jeremy Bentham eher als „Unsinn auf Stelzen“ bezeichnen würde — nichtssagende oder unsinnige Bemerkungen, irgendwelche Behauptungen, die zu Sentenzen aufgebläht werden, um Eindruck zu schinden. Der Begriff „Dummheit“ ist dafür zu allgemein. 

Science or not science …?

Da Gebote wie Hanlons Rasiermesser klug wirken, wird selten nachgefragt, worauf sie sich stützen. Es muss aber einen Grund außerhalb des Gebotes selbst geben, dieses zu befolgen. Wie wir sahen, reicht ein Hinweis auf die Allgegenwart der Dummheit nicht aus. Er regt – im Gegenteil – eher dazu an, die Dummheit zu ignorieren. 

Zunächst sollte sie begrifflich von der Inkompetenz getrennt werden. Intelligente Menschen können in bestimmten Bereichen inkompetent, dumme Menschen in denselben oder anderen Bereichen kompetent sein. Der Philosoph Kuno Fischer war sozial inkompetent in Bezug auf die Präferenzen von Handwerkern, als er lärmenden Bauarbeitern drohte: „Meine Herren, wenn Sie weiterhin solchen Krach machen, nehme ich den Ruf an die Universität Heidelberg an!“ War er aber dümmer als die Bauarbeiter? Das glaube ich nicht. Sehr wahrscheinlich war er intelligenter als sie. 

Hanlons Rasiermesser ist „Ockhams Rasiermesser“ nachgebildet, einem wissenschaftlichen Prinzip, welches besagt, dass von mehreren hinreichenden Erklärungen stets die mit der geringsten Anzahl an Variablen bevorzugt werden soll (Sparsamkeitsgebot). Dieses Gebot ist in der Wissenschaft nicht aufgrund seiner größeren Wahrheitsnähe rational, sondern nur aufgrund seiner Effizienz im Hinblick auf die jeweiligen Forschungsziele. 

Indem Hanlons Rasiermesser sich als Variante oder Paraphrase jenes wissenschaftlichen Prinzips ausgibt, setzt es zugleich einen wissenschaftlichen Standard. Um diesem Standard gerecht zu werden, müssten diejenigen, welche sich darauf berufen, die verwendeten Begriffe messbar machen. Davon ist aber weit und breit nichts zu sehen.

Dabei wäre es bezüglich der Dummheit sogar recht einfach. Man entscheidet sich für ein gebräuchliches Intelligenztestverfahren und definiert „Dummheit“ als signifikant unterdurchschnittlichen IQ, zum Beispiel einen Wert unter 85 Punkten. Wichtig: Menschen mit diesem IQ sind aus wissenschaftlicher Sicht dann auch „wirklich“ dumm, weil Intelligenz/Dummheit durch den Test definiert ist. Tertium non datur. 

Man könnte auch vom höchsten gemessenen IQ (230) ausgehen und alle Personen mit einem niedrigeren IQ als dumm klassifizieren. Dieser Höchstwert ist aber extrem selten. Ihn zu verwenden wäre nicht sinnvoll, da man die so verstandene „Dummheit“ aufgrund ihrer Ubiquität besser aus der Gleichung nimmt, um zu aussagekräftigen Ergebnissen zu kommen. 

Versuchen wir es also mit einer noch präziseren Formulierung von Hanlons Rasiermesser: „Erkläre ein negatives Resultat nicht durch böse Absicht bei mindestens durchschnittlicher Intelligenz, wenn auch ein signifikant unterdurchschnittlicher IQ bei gutem Willen hinreichend ist.“

Bedingung der Möglichkeit, Dummheit (plus guten Willen) als hinreichendes Explanans zu nutzen, wäre nun der exakte wissenschaftliche Nachweis, dass die betreffenden Personen im genannten Sinne dumm sind, also entweder jeder Betroffene, Beteiligte oder Verantwortliche einen unterdurchschnittlichen IQ hat oder der Gesamt-IQ aller Betroffenen, Beteiligten oder Verantwortlichen unter dem Durchschnitt liegt. 

Zuvor müsste die Grundgesamtheit definiert werden – zum Beispiel alle Bürger, alle Betroffenen, alle Beteiligten, alle Funktionsträger o.ä. Diese Grundgesamtheit müsste ebenfalls exakt umrissen werden, um eine repräsentative Stichprobe extrahieren und deren IQ messen zu können. Wenn die Grundgesamtheit sehr klein ist, kann auch der IQ jedes einzelnen Mitglieds gemessen werden. Danach würden die Ergebnisse mit dem Durchschnitt verglichen. 

Ergäbe dieser Vergleich, dass die betreffenden Personen im exakten Sinne dümmer sind als der Durchschnitt, wäre allerdings noch immer nicht nachgewiesen, dass die wissenschaftlich festgestellte Dummheit im konkreten Fall x Ursache des negativen Resultates ist. Man hätte nur festgestellt, dass die Leute tatsächlich dumm sind. Außerdem müsste noch die gute Absicht exakt definiert, messbar gemacht und zusätzlich empirisch nachgewiesen werden. Meines Wissens gibt es keinerlei Untersuchungen dieser Art. Sie wären auch sehr schwierig und kompliziert, vielleicht sogar unrealisierbar.

Plausibilität genügt

Ich habe so ausführlich über das wissenschaftliche Prozedere geschrieben, um deutlich zu machen, was es in der Praxis bedeuten würde, in dieser Frage ernsthaft die Prinzipien der empirischen Wissenschaft anzuwenden. Selbstverständlich braucht im Falle von Hanlons Rasiermesser niemand solche komplizierten statistischen Erhebungen. Bloße Plausibilität reicht aus.

Nehmen wir als Beispiel die Corona-Maßnahmen. Sie nützen nichts im Hinblick auf den Seuchenschutz und die Gesundheit der Gesamtbevölkerung, schaden aber in beträchtlichem Maße. Man braucht keine empirischen Untersuchungen, um mit Recht zu vermuten, dass die Verantwortlichen – die beratenden Experten, die Abgeordneten in Parlamenten und Ausschüssen, die Mitarbeiter im Robert Koch-Institut, im Paul-Ehrlich-Institut, in den Gesundheitsämtern und so weiter – weder einzeln noch in der Summe einen signifikant unterdurchschnittlichen IQ haben.

Es mag der eine oder andere dabei sein, der im unteren Bereich der Normalverteilung rangiert; es gibt in der Grundgesamtheit aber sicher auch eine ganze Reihe überdurchschnittlich intelligenter Personen. Ich nehme stark an, dass der durchschnittliche IQ aller Verantwortlichen eher über dem allgemeinen Durchschnitt liegt. 

Die Gesamtbevölkerung kann per definitionem nicht im exakten Sinne dumm sein, da sich der Durchschnitts-IQ aus ihr ergibt. Wie steht es aber mit den „Hundertfünfzigprozentigen“, die alle Maßnahmen ausdrücklich befürworten, willig mitmachen und noch überbieten? Sind es gutwillige Dummköpfe? Auch hier vermute ich stark, dass dieser Personenkreis insgesamt einen überdurchschnittlichen IQ hat.

Wenn meine Annahmen plausibel sind, gibt es nicht den geringsten Grund, die negativen Folgen der Coronamaßnahmen ausgerechnet mit der Dummheit aller Verantwortlichen und/oder der Bevölkerung zu erklären. Diese Erklärung kann daher nicht der These überlegen sein, dass die negativen Resultate entweder direkt angestrebt oder billigend in Kauf genommen werden. Ich selbst schimpfe zwar innerlich jedesmal über die Blödheit der Leute, die ich an der frischen Luft oder im Supermarkt Masken tragen sehe. Ich meine aber so etwas wie meschugge oder bekloppt.

Wie zu Beginn erwähnt, kann unter dem Begriff „Dummheit“ vieles verstanden werden. Man könnte statt der allgemeinen Intelligenz von Personen zum Beispiel „Dummheiten“ in den Blick nehmen. Auch intelligente Menschen reden bisweilen Unsinn und handeln bisweilen unangemessen, machen also Dummheiten. Man sagt hochintelligenten Menschen sogar nach, häufig unangemessen zu handeln und wenig alltagstauglich zu sein, wie das Beispiel Kuno Fischer zeigt. Gerade die übertriebene Angst vor Viren und Bakterien wird – medial vermittelt durch Kunstfiguren wie Adrian Monk oder Sheldon Cooper – gerne mit Hochintelligenz und Genialität assoziiert.

Wie integriert man diese Art von „Dummheit“ in Hanlons Rasiermesser? Man müsste es etwa so formulieren: „Erkläre negative Resultate nicht durch böse Absicht, sondern eher mit den Torheiten, die gutwillige Akteure trotz normalem oder hohem IQ im konkreten Zusammenhang x begehen.“ 

Doch auch hier bleibt die Frage offen, warum und wozu man diesem Gebot folgen sollte? Es rasiert schließlich nichts, sondern klebt etwas an. Negative Resultate mit der Torheit intelligenter und gutwilliger Verantwortlicher zu erklären, ist gewundener, als davon auszugehen, dass intelligente Akteure zweckrational handeln, um unlautere Ziele zu verwirklichen. Das Treiben von Drosten oder Lauterbach zum Beispiel wirkt sich nicht eindeutig positiv auf den deklarierten Zweck aus, die Gesundheit der Gesamtbevölkerung zu erhalten oder zu verbessern. Ein klar positiver Effekt ihres Handelns ergibt sich aber im Hinblick auf den Gewinn diverser Unternehmen – zum Beispiel TIB Molbiol/Rosche (Testkits) und Biontech/Pifzer (Impfungen). 

Warum um alles in der Welt soll es plausibler sein anzunehmen, dass Drosten und Lauterbach guten Willens die allgemeine Gesundheit zum Ziel haben, dieses Ziel aber verfehlen, statt davon auszugehen, dass sie den angerichteten Schaden zumindest billigend in Kauf nehmen, um die Gewinne der genannten Firmen zu steigern, ihre eigene Bedeutung und Macht zu vergrößern oder sonstige fragwürdige Zwecke zu verfolgen? Warum sollten sie als intelligente Personen nicht andere Menschen über ihre wahren Ziele täuschen? Das dürfte ihnen leichter fallen, als es Personen mit deutlich verminderter Intelligenz fällt. Solche Menschen werden zum Beispiel in der russischen Literatur gerne als „Gottesnarren“ dargestellt, die immer die Wahrheit sagen und stets korrekte Prognosen abliefern.[2]

Des Pudels Kern

Welche Intentionen Personen wie Drosten oder Lauterbach wirklich haben, ist im Moment einerlei. Es geht hier nur um die Frage, warum Dummheit plus gutem Willen a priori eine bessere Erklärung sein soll. Man mag einwenden, dass es sich eben um eine Faustregel handele, die nicht bewiesen werden müsse, sondern nur der groben Orientierung diene. Was aber macht diese Richtschnur in welcher Hinsicht besser als eine andere?

Noch einmal: Es muss etwas geben, was empirisch für sie spricht. Zum Beispiel, dass man in irgendeiner Weise davon profitiert. Worin besteht der Vorteil, Ugur Sahin oder Bill Gates für gutmütige Simpel, statt für skrupellose Geschäftsmänner und/oder Größenwahnsinnige zu halten? Selbst wenn es einen handfesten lebenspraktischen Vorteil gäbe, änderte dies nichts an der Erkenntnis, dass Hanlons Rasiermesser „Hanlons Zirkel“ heißen müsste.

Ich kann jedenfalls keinen Grund erkennen, dieses „Messer“ anzusetzen, außer dem einen einzigen, böse Absicht als Erklärung negativer Folgen von vornherein zu delegitimieren. Es ist kein Zufall, dass in Hanlons Rasiermesser nur die Dummheit erwähnt wird, obwohl vor allem der gute Wille gemeint ist. Beim Wort „Dummheit“ soll der gute Wille mitgedacht werden. Dies wiederum hat narkotisierende Wirkung und mildert alle Kritik schon im Ansatz. 

Damit sind wir bei des Pudels Kern angelangt. Wenn ich böse Absichten hätte, käme mir Hanlons Rasiermesser gerade recht: Sollen sie sich doch schlau vorkommen und in mir nur einen gutmütigen Tölpel sehen, während ich ihnen gehörig das Fell über die Ohren ziehe! Dann halten sie nämlich schön still.

Das Gebot, die Dummheit der Akteure als Erklärung zu bevorzugen, ist in Wirklichkeit ein Tabu. Es darf nicht ausgesprochen werden, dass böse Absichten und böse Menschen am Werk sind. Hanlons Rasiermesser scheint von Sokrates inspiriert zu sein, welcher lehrte, dass böse Handlungen nur aus Unkenntnis des Guten geschehen können, nicht aus böser Absicht. Was uns böse erscheine, sei bloß Unwissenheit. 

Doch außerhalb des von Sokrates gespannten metaphysischen Rahmens und seiner Ontologie führt diese Auffassung grob in die Irre. Menschen wissen in der Regel jedenfalls genau, was in ihrer Lebenswelt als böse gilt. Wer zum Beispiel zum eigenen Vortreil absichtlich Schaden verursacht oder billigend in Kauf nimmt, wird gemeinhin moralisch verurteilt, wenn mit diesem Schaden nichts (hinreichend) Gutes kausal verbunden ist.

Personen, die gewohnheitsmäßig mit Absicht solchen Schaden anrichten, gelten als schlechte Menschen, also böse Individuen. Man fasst ihre Angewohnheit als Charaktereigenschaft, als Teil ihrer Persönlichkeit auf. Unklar ist der Status derjenigen, die einen Schaden bloß zulassen. Bösewichte machen es sich im Nebelfeld von direktem Vorsatz, Eventualvorsatz, bewusster und unbewusster Fahrlässigkeit gerne bequem. Wichtig ist, dass all dieses Handeln bzw. Zulassen als moralisch falsch und schuldhaft gilt.

Intentionen für und wider

Kommen wir auf das Beispiel Corona zurück. Wenn es zutrifft, dass die Maßnahmen insgesamt einen riesigen Schaden bei geringem Nutzen verursachen, stellt sich die Schuldfrage. Der Wissenschaftsphilosoph Michael Esfeld legt meiner Ansicht nach überzeugend dar, dass die Coronamaßnahmen in keinem der beiden dominierenden ethischen Systeme moralisch zu rechtfertigen sind. Wenn Esfeld richtig liegt, haben die dafür Verantwortlichen gemäß der beiden ethischen Systeme moralisch falsch gehandelt. Moralisch falsches Handeln allein bedeutet jedoch nicht, dass es auch in böser Absicht stattfindet. 

Für eines der von Esfeld genannten Systeme – den Utilitarismus – ist diese Frage ohnehin bedeutungslos, da nur Ergebnisse bewertet werden, nicht Intentionen. Der Impuls des Utilitarismus bzw. Konsequentialismus, Intentionen nicht zu beachten, ist durchaus nachvollziehbar, da niemand – außer Gott – wissen kann, welche Intentionen andere Personen wirklich haben. Es liegt also nahe, Spekulation darüber zu unterlassen und sich nur auf das zu konzentrieren, was „hinten rauskommt“, wie der ehemalige Bundeskanzler Kohl gesagt hätte. Damit ergeben sich aber gravierende Probleme an anderer Stelle. Der utilitaristische „Nettonutzen“ beispielsweise ist meines Erachtens auch nicht einfacher zu ermitteln als der gute oder böse Wille der Akteure.

Prinzip der Doppelwirkung

In allen nicht-konsequentialistischen Ethiken sowie für die meisten Menschen spielen Intentionen eine bedeutende oder entscheidende Rolle bei der moralischen Bewertung. Das aus der katholischen Theologie stammende ethische Prinzip der Doppelwirkung (PDW) ist zur Verdeutlichung gut geeignet.[3] Im PDW wird die Erfahrung reflektiert, dass eine Handlung oft gute und schlechte Folgen zugleich hat. Wir wollen uns zunächst nur auf den einen Aspekt des PDW konzentrieren, dass moralisch indifferente oder gute Handlungen auch dann legitim sind, wenn sie schlechte Nebenfolgen haben.

Eine von vier Bedingungen dieser Legitimität ist laut PDW, dass die schlechten Folgen unbeabsichtigt sind, also nicht direkt angestrebt werden. Das gilt auch dann, wenn die Akteure schlechte Folgen klar voraussehen und sogar mit Sicherheit wissen, dass sie eintreten werden. Das PDW ist in gewisser Weise „gnädiger“ als unser Rechtssystem, da es bewusste und unbewusste Fahrlässigkeit sowie Eventualvorsatz nicht als moralisch falsch betrachtet, sobald seine vier Bedingungen erfüllt sind.

Dieser Aspekt des PDW scheint allen Verantwortlichen und Befürwortern der Coronamaßnahmen gelegen zu kommen. Wenn sich der Wind wider Erwarten drehen sollte, brauchen sie nur zu beteuern, dass sie die negativen Folgen entweder gar nicht gesehen oder nicht angestrebt haben – schon bekommen sie mildernde Umstände.

Doch damit hätten sie die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Das PDW hat vier Bedingungen, die alle erfüllt sein müssen, damit eine Handlung, die Schaden verursacht, moralisch legitim ist. Bedingung vier lautet: „Die gute Wirkung muss hinreichend wünschenswert sein, sodass sie das Zulassen der schlechten Wirkung aufwiegt. Bei dieser Entscheidung müssen viele Faktoren abgewogen und verglichen werden, und zwar mit einer Sorgfalt und Umsicht, die der Wichtigkeit des Falls angemessen ist.“ 

Die gute Wirkung der Coronamaßnahmen mag wünschenswert sein; sie wurden allerdings nicht einmal im Ansatz gegen irgendetwas abgewogen. Zudem haben die Maßnahmen im Hinblick auf den deklarierten Zweck keinerlei oder nur marginal positive Wirkung. Letztere stünde, sofern vorhanden, in krassem Missverhältnis zu den negativen Konsequenzen. Lockdowns, Isolation, Maskenpflicht, Massenimpfungen richten insgesamt verheerenden Schaden an. 

Dass dem so sein würde, war leicht vorauszusehen. Es gab noch im Oktober 2019 eine große Analyse der WHO, in welcher die meisten der später ergriffenen Maßnahmen als wirkungslos gekennzeichnet worden waren. Ferner hatten Hochqualitätsstudien bereits lange vorher ermittelt, dass Masken nichts gegen die Ausbreitung respiratorischer Viren ausrichten. Es gab keinerlei Grund zur Annahme, ausgerechnet bei SARS-CoV-2 würde es anders sein.

Selbst die fragwürdige Studie aus Bangladesch, die formal hohen Qualitätsstandards genügt, zeigt nur eine geringe Wirkung. Diese hätte aber gegen den möglichen Schaden abgewogen werden müssen. Von den sozialen und ökonomischen Folgen, die wiederum auf die Gesundheit zurückwirken, ganz zu schweigen. Jedem, der überhaupt zur Abwägung bereit war, musste dies klar vor Augen stehen. 

Wer’s glaubt, wird selig

Kann man angesichts dessen ernsthaft annehmen, wer solche gigantischen Verwerfungen verursacht und aggressiv befürwortet; wer noch immer Menschen isoliert, schikaniert, quält, ihrer Existenz beraubt, ihnen die Grundrechte nimmt, habe gute Absichten und sei lediglich zu dumm, den Schaden zu ermessen? Das ist geradezu absurd.

Viel naheliegender erscheint die Annahme, dass der Schaden direkt angestrebt oder billigend in Kauf genommen wird – in beiderlei Fällen wäre Vorsatz am Werk. Da es Personengruppen gibt, die von solchem Schaden und dem deklarierten Notstand in Bezug auf Geld, Macht, Bedeutung profitieren, stellt sich die Frage, warum Personen diesen Schaden und Notstand nicht bewusst anstreben oder ausnutzen sollten? 

Wie erwähnt, weiß niemand mit Gewissheit, welche Intentionen andere Personen wirklich haben. Ich höre immer wieder, dass Leute wie Wieler oder Lauterbach tatsächlich an das glauben, was sie sagen, und daher Überzeugungstäter seien. Doch womöglich vermitteln sie nur erfolgreich diesen Eindruck.

Eine auf Intentionen konzentrierte Moral steigert den „evolutionären Druck“ in Richtung Heuchelei und Selbstbetrug. Das PDW zum Beispiel unterschätzt diesen Faktor ganz beträchtlich.[4] Subjekt desselben ist ein allwissender Gott, den man nicht täuschen kann. Aber dieser gibt leider keine Auskünfte.

Der Selbstbetrug hat sich evolutionär durchgesetzt, weil er viele Vorteile bietet – vor allem den, nicht der schlechten Absicht überführt werden zu können, weil man schließlich selbst geglaubt hat, nur die besten Absichten zu haben. Bewusstes Lügen und Betrügen kostet mehr Energie und wird härter sanktioniert. 

Selbstbetrug

Ich habe an anderer Stelle schon öfter den Selbstbetrug als moralisches Übel sui generis bezeichnet und mich dabei auf Immanuel Kant berufen. Für Kant ist entscheidend, wie sich der Mensch zu seiner triebhaften Natur – zu seinen niederen Instinkten – verhält. Ist er in diesem Belang nicht schonungslos ehrlich, wird diese „Unredlichkeit, sich blauen Dunst vorzumachen“, immer weiter fortschreiten und schließlich zu manifesten Untaten mit gutem Gewissen führen.

Den Hang zum Selbstbetrug bezeichnet Kant als „radikale Verkehrtheit des Herzens“, mithin als „radikal böse“. Dahinter steht seine Überzeugung, dass der Mensch „aus krummem Holze geschnitzt“ sei und deshalb „nie ganz gerade werden“ könne. Menschen sind nicht „von Natur aus gut“; moralische Schwächen wird man nie ganz beseitigen können. Mit bösen Absichten muss im Falle negativer Resultate immer gerechnet werden. 

Subsumiert man nun den Selbstbetrug unter die bösen Absichten, ergibt sich folgende Faustregel: „Je schlimmer die Resultate, desto wahrscheinlicher sind böse Absichten.“ Ob jemand sich selbst betrügt, kann zwar nie mit Sicherheit festgestellt werden. Allerdings ist diese Gewissheit nicht geringer als diejenige, mit welcher man gute oder indifferente Absichten feststellen kann. Wenn also Intentionen eine Rolle spielen, steht der Selbstbetrug mindestens gleichrangig neben den guten und neutralen Absichten. 

Ich empfehle, immer von den Mitteln auf die Zwecke und von dort auf die Intentionen zu schließen. Zu welchem Zweck passen die angewandten Mittel am Besten? Stimmt der passendste Zweck mit dem offiziell angegebenen überein? Wenn nicht, ist Vorsicht geboten. Denn bereits die Tatsache, dass Mittel verwendet werden, die nicht optimal zum offiziellen Zweck, aber zu einem anderen passen, lässt auf Täuschung schließen.

Ist der passendste Zweck dann auch noch moralisch zweifelhaft oder verwerflich, steckt mit ziemlicher Sicherheit böse Absicht dahinter. Man wende dies auf obige Bemerkung an, dass die Coronamaßnahmen nicht zum Gesundheitsschutz, wohl aber optimal zur Profitsteigerung bestimmer Unternehmen passen. Ich würde sagen, das ist nahezu selbsterklärend.

It’s the evil, stupid!

Die Frage, ob Personen wie Lauterbach oder Drosten aus Dummheit plus guter Absicht handeln, muss also verneint werden. Sie sind intelligent und handeln in böser Absicht, und zwar nur in böser Absicht. Da sie dies gewohnheitsmäßig und ausdauernd tun, sind sie böse Menschen. Das umso mehr, je mehr sie sich selbst betrügen und zu Wohltätern der Menschheit erklären mögen. Niemand zwingt sie zu ihren Taten, ihren Manipulationen, ihren haltlosen Behauptungen, ihren Verleumdungen. 

Es ist kein Zufall, dass viele fanatische Befürworter rigoroser Coronamaßnahmen sogenannte Gutmenschen sind, deren hohe Moral bereits vor Corona ausschließlich darin bestand, voller Inbrunst andere an den Pranger zu stellen. Man braucht nicht viel Menschenkenntnis, um zu sehen, dass hier Leute „Haltet den Übeltäter“ schreien, die davon ablenken wollen, dass sie selbst von bösen Absichten durchdrungen sind. Im Coronaregime leben sie sichtlich auf – als Beispiel sei hier nur Jan Böhmermann genannt.

Es handelt sich hierbei in der Regel um Menschen, die vehement bestreiten, dass der Mensch besagtes „krummes Holz“ ist. Vielmehr vertreten sie meist aggressiv die vulgärrousseauistische Auffassung, ohne äußere Einschränkungen sei der Mensch edel und rein. Deshalb solle man sie schalten und walten lassen, wie sie wollen. Schuld an ihren zahlreichen Fehltritten sind denn auch immer andere. Die Pointe am Gutmenschentum ist, dass Gutmenschen in Wirklichkeit böse Menschen sind.

Und so haben sie keine Probleme, sogar ihre eigenen Angehörigen bis zum Exzess für eine vermeintlich gute Sache zu quälen. Dass Menschen in großer Anzahl und auf breiter Front mit bösen Absichten unterwegs sind; dass sie anderen bewusst schaden, sich auf deren Kosten erheben wollen, ist für viele aus irgendeinem Grund schwer zu akzeptieren. Man lässt sich zu sehr einlullen von den Eigenbekundungen dieser Leute, fällt gerne auf den Wolf im Schafspelz herein. 

Fazit

Gerade angesichts der monströsen Verwerfungen durch das Coronaregime[5] halte ich es für verfehlt, sich von der falschen Alternative „Dummheit oder böse Absicht“ blenden zu lassen. Die Hauptakteure, willigen Vollstrecker und begeisterten Mitläufer sind weder besonders dumm noch guten Willens. Sie sind böse im wahrsten Sinne des Wortes.

Indem ich dies schreibe, vertrete ich kein „manichäisches Weltbild“ mit starrem Gut-Böse-Schema. Ich mache bloß darauf aufmerksam, dass der Ausdruck „böse“ eine Bedeutung hat und daher auch angewendet werden darf, wenn sich etwas Adäquates findet. Schließlich wird sein Pendant „gut“ (im moralischen Sinn) sehr freigiebig verwendet. Jeder noch so prätentiöse Humbug wird sogleich als moralisch vorzüglich beklatscht. Da schaden ein paar Dissonanzen im permanenten Jubelakkord überhaupt nicht.

Das Kind muss beim Namen genannt werden! Denn die Unredlichkeit, sich blauen Dunst über Intentionen und Motive vorzumachen, schwächt mit dem inneren auch den äußeren Widerstand gegen totalitäre Übergriffe. Gewiss können Menschen sich ändern und zum Guten wandeln. Dies wird aber kaum geschehen, wenn sie ohnehin schon allerorten für gut gehalten und de facto heiliggesprochen werden. Verzeihen sollte man den Corona-Übeltätern, wenn überhaupt, erst nachdem sie tätige, glaubhafte Reue gezeigt haben. Das sollten sie aber tun, bevor sie niedergerungen werden. Danach hätte ihre „Reue“ einen starken Hautgout.

Dummheit als Ursache gravierenden Übels ist eine Ad-Hoc-Hypothese, die nur dazu dient, böse Menschen wider alle Evidenz für gut halten zu können. Ich finde, man sollte das Böse schon zur Kenntnis nehmen, wenn es sich so breitbeinig vor der eigenen Nase aufpflanzt und einem permanent ins Gesicht schlägt. Mit stumpfen Rasiermessern wird man es jedenfalls nicht besiegen. 

Hier geht es weiter zu Teil zwei.


[1] Bei Kästner ist das Ganze eine Metapher dafür, dass Menschen wie Fabian in totalitären Gesellschaften untergehen. Ich selbst bin der Ansicht, dass Moralisten den Totalitarismus hervorbringen – allerdings nicht Moralisten wie Fabian.

[2] Am prominentesten wohl in der Oper „Boris Godunow“ von Modest Mussorgski.

[3] Die beste Darstellung und Verteidigung des PDW, die mir bekannt ist, findet sich in: David S. Oderberg, Moral Theory, Oxford 2000, S. 88–126. Die beste mir bekannte Zurückweisung des PDW steht in: Raymond G. Frey, Rights, Killing & Suffering, Oxford 1983, S. 118–138.

[4] Vgl. dazu Klaus Alfs, Kritik der vegetarischen Ethik, Hofstetten/SO 2019, S.72ff.

[5] Mindestens genauso deutlich wird die böse Absicht im Ökologismus, der Klimahysterie, dem Wokismus und den daraus resultierenden Handlungen. Wenn etwas abgrundtief böse ist, dann diese mit der „Planetenrettung“ oder „diskriminierten Minderheiten“ nur oberflächlich kaschierte Absicht, Menschen zu drangsalieren und zu eliminieren. Man erzähle mir nichts von den „guten Absichten“ der Letzten Generation, von Extinction Rebellion, Fridays for Future, Black Lives Matter!

Speziesismus

Unendliches Leid der Zungen

Der Ausdruck stammt vom Psychologen Richard Ryder, welchem laut eigenem Bericht in der Badewanne plötzlich die Erleuchtung kam, alle Welt mit einem neuen Zungenbrecher zu beglücken, obwohl diesbezünglich bereits Fischers Fritze und Co. hervorragende Dienste leisten. „Speziesismus“ ist also ein Geschenk von jemandem, der zu heiß gebadet hat, für Leute, die zu heiß gebadet sind

Inhaltlich handelt es sich dabei um einen schlichten Kategorienfehler, den jeder erkennen kann, der seinerzeit in der Sesamstaße „Eins von den Dingen ist nicht wie die anderen“ geschaut hat. „Speziesismus“ ist onomatopoetisch Begriffen wie Rassismus und Sexismus nachgebildet. Er soll so etwas bedeuten wie: Bevorzugung des Menschen nur aufgrund seiner Spezieszugehörigkeit. Das allerdings ist ein Strohmann. Die Spezieszugehörigkeit fungiert nämlich als Kriterium, nicht als Grund. Der Grund, warum Menschen moralischen Status und Menschenrechte haben, liegt in bestimmten Eigenschaften, die nur Menschen besitzen (dazu gleich mehr).

Lassen wir also den Strohmann weg, lautet das Argument der „Antispeziesisten“ folgendermaßen: So, wie (z.B.) Farbige und Frauen diskriminiert wurden und werden, würden auch bestimmte Tierarten diskriminiert – und zwar mit Hilfe eines Kriteriums, welches nur dem Zweck diene, ihnen moralischen oder gar rechtlichen Status vorzuenthalten. Dieses Kriterium ist die Vernunft. Für schlichte Gemüter ist das natürlich einleuchtend. Mit der Vernunft ist es auch bei ihnen nicht weit her; außerdem klingt „Speziesismus“ ähnlich wie „Sexismus“ und „Rassismus“, allerdings auch wie „Feminismus“. Die Probleme, das Wort korrekt auszusprechen, beanspruchen bereits die gesamte geistige Kapazität derjenigen, die „Speziesismus“ für ein Zauberwort halten, das alle Gegner in Acht und Bann schlägt. Sie sind so stolz darauf, dieses Wort überhaupt zu kennen, dass sie gar nicht verstehen, wie jemand davon nicht beeindruckt sein kann. 

Finde den Fehler

Rassismus und Sexismus sind als Begriffe auf Menschenwürde und die damit begründeten Menschenrechte bezogen. Worin besteht die Menschenwürde? Sie besteht darin, dass Menschen in der Lage sind, über ihre Belange selbst zu bestimmen. Voraussetzung dafür ist die Fähigkeit, Wünsche zweiter Ordnung zu haben, also höherstufige Wünsche auf Wünsche niedrigerer Stufe beziehen und letztere damit neutralisieren zu können. 

Wichtig: Kein Tierphilosoph, kein Tierbefreier, kein Tierrechtler, kein Verhaltensbiologe behauptet, dass diese Fähigkeit bei Tieren nachgewiesen ist. Keiner! Das verwundert auch wenig, denn hätten Tiere diese Fähigkeit, könnten sie über ihre Belange selbst bestimmen und wären damit Urheber ihres Tuns. Dieses müsste ihnen dann nolens volens als Verdienst oder Verschulden zugeschrieben werden. Sie wären damit auch im juristischen Sinne voll verantwortlich.

Das Argument gegen Rassismus und Sexismus ist, dass sowohl (z.B.) Farbige als auch Frauen nachweislich oben genannte Fähigkeit durchschnittlich in gleichem Maße haben wie weiße Männer. Sie haben die gleiche Würde. Ihnen müssen daher Menschenrechte in gleichem Maße gewährt werden, wie sie auch weißen Männern gewährt werden. Diskriminierte Menschen werden in der Regel von außen daran gehindert, über ihre Belange selbst zu bestimmen. Andere Entitäten – Tiere, Pflanzen, Steine, Artefakte – werden von innen daran gehindert, da sie konstitutionell dazu gar nicht in der Lage sind. Ihnen wird also durch „Ungleichbehandlung“ nichts genommen. Im Gegenteil: Ungleiches ungleich zu behandeln, ist ein Gebot der Gerechtigkeit. Nur Menschen können diskriminiert werden. Bei anderen Entitäten hat der Begriff keinen Sinn. 

Schwamm drüber?

Kommen wir zurück auf die Sesamstraße: Eins von den Dingen ist nicht wie die andern. Rassismus und Sexismus gehören, da sie auf benannte Fähigkeit bezogen sind, in ein und dieselbe Kategorie. „Speziesismus“ hingegen bezieht sich auf andere Fähigkeiten bzw. Eigenschaften, bei Ryder explizit auf die Leidfähigkeit. Der Begriff wird also uneigentlich, bloß in Analogie verwendet. Gleichwohl treten diejenigen, welche ihn verwenden, so auf, als wäre tatsächlich eine logische Äquivalenz vorhanden.

So etwas nennt man einen „performativen Selbstwiderspruch“. Der „Sprechakt“, also die sprachliche Performance, passt nicht zum Inhalt. Erst recht passen alle manifesten Aktivitäten von Tierbefreiern, Tierrechtlern und ähnlichen nicht zum Inhalt dessen, womit sie diese Aktionen begründen. Sie passen nur in dem Sinne dazu, dass umso lauter geschrien, umso brutaler gehandelt wird, je schlechter die rationale Begründung ausfällt.

Nun ist Leidfähigkeit eine weit schwammigere Bestimmung als die Fähigkeit zu Wünschen zweiter Ordnung. Letztere ist definitorisch klar und empirisch evident – also so offensichtlich, dass sie keiner expliziten Begründung bedarf. Alle unterstellen diese Fähigkeit im täglichen Leben, auch Tierrechter und Co. Andernfalls hätte es für sie keinen Sinn, die „bösen Fleischesser“ bekehren zu wollen. Diese könnten ihren Wunsch niederer Ordnung nach Fleisch gar nicht durch den Wunsch höherer Ordnung neutralisieren, den Fleischkonsum zu unterlassen. Aus rationaler Perspektive stellt sich also die Frage, warum man eine derart klare und trennscharfe Bestimmung durch eine unklare und unscharfe ersetzen sollte.  

Alle töten?

Diese Frage ist umso dringlicher angesichts des Umstands, dass die „Antispeziesisten“ mit ihren unklaren Bestimmungen in der Regel umfassende Tötungsverbote begründen wollen. Es ist aber gar nicht ohne Widerspruch möglich, aus der unterstellten Leidfähigkeit ein generelles Tötungsverbot abzuleiten. Schlimmer noch. Ist Leidvermeidung oberstes oder gar einziges Prinzip, kann der Konsequenz umfassender Tötungsgebote nur schwer ausgewichen werden (negativer Utilitarismus). Um dieser Konsequenz auszuweichen, sind umständliche Rechnungen über Nettoleid oder Durchschnittsleid vonnöten, die niemals so verbindlich sein können wie die auch von Tierrechtlern de facto anerkannte Menschenwürde im oben genannten Sinn.

Der Tatsache, dass Tiere leiden können, wird bereits im traditionellen Tierschutz Rechnung getragen. Der Tierschutz ist Ausdruck von Milde und Gnade, nicht von streng rationaler Ethik. Streng rational kann immer nur der moralische Status von Menschen begründet werden, einschließlich des Tötungsverbots bzw. des Lebensrechts. Wer es mit anderen bekannten Entitäten versucht, wird immer scheitern. Die geistigen Verrenkungen der „Antispeziesisten“ sind arguemtativ aussichtlos und – nennen wir das Kind beim Namen – unglaublich dumm.

Splitter und Balken – das geht ins Auge!

Nehmen wir nur für einen Moment an, der Grund, Menschen die gleichnamigen Rechte sowie moralischen Status zuzugestehen, sei tatsächlich willkürlich und diene nur dem Zweck, alle anderen Entitäten draußen zu halten. Inwiefern wären dann die „antispeziesistischen“ Versuche rational überlegen? Denn das Gleiche kann man von jedem Versuch behaupten, der nicht allem und jedem, was in der Welt existiert, moralischen Status sowie Lebens- und Existenzrecht zuweist. Bildet man aus der Gesamtheit eine Teilmenge, dann bedeutet dies stets, den Rest auszuschließen.

Die Versuche der „Antispeziesisten“, sinnvolle Teilmengen zu bilden, sind schon aus logischen Gründen kläglich. Man kann all ihr Tun ebenfalls unter den Begriff „Speziesismus“ subsumieren – und zwar mit weit mehr Recht, als das Tun der vermeintlichen Speziesisten. Werden nur „leidfähige“ Wesen berücksichtigt, lässt sich dies ohne Weiteres als Diskriminierung anderer Entitäten darstellen. Schließlich wird ein „Feature“ herausgegriffen, bloß um die vermeintlich zum Leid Unfähigen draußen zu halten. Warum? Wer am lautesten Aua schreit, kommt in den Club?

Ulkigerweise hat Richard Ryder selbst das schöne Wort „Painism“ erfunden – zu Deutsch wohl „Schmerzismus“. Damit ist aber nicht etwa die Diskriminierung aller schmerzunfähigen Entitäten gemeint – zum Beispiel von Nacktmullen oder Menschen mit angeborener Schmerzlosigkeit. Ryder benutzt das Wort, um seine ethische Theorie zu begründen, wonach es der Zweck von Moral sei, ganz allgemein den Schmerz möglichst zu beseitigen, weil Schmerz laut Ryder das Übel schlechthin sei. 

Darüber mag man streiten bis zum Sankt-Nimmerleinstag. Und das ist als solches bereits ein Problem. Denn die traditionelle Ethik, gegen welche die „Antispeziesisten“ opponieren, arbeitet ja schon lange mit weitgehend unstrittigen Tatsachen. Nichts ist logisch so eng mit Moral verknüpft wie die Fähigkeit zu derselben. Diese Fähigkeit haben nach bisheriger Erkenntnis nur Menschen.

Lob und Tadel

Um auch hier für Klarheit zu sorgen: Moral bedeutet, nicht nur sichtbares Verhalten, sondern auch Absichten und Überzeugungen nach abstrakten Regeln zu bewerten. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass dies irgendein Tier könnte. Deshalb behauptet es auch kein Verhaltensbiologe. Eine kluge Tierrechtlerin wie Christine Kosgaard sagt klipp und klar, dass nur Menschen zur normativen Selbststeuerung fähig sind.

Das gestehen die „Antispeziesisten“ – siehe oben – selbst ohne Unterlass ein, da sie nicht auf die Idee kommen, ihre Lieblingstiere zu verklagen, wenn sie „Böses“ tun und Kapitalverbrechen wie Mord, Totschlag, Raub begehen. Diese Begriffe sind in Bezug auf Tiere genauso sinnlos wie die positiven Zuschreibungen, mit denen ethische Vegetarier nicht geizen. Der Schatten des Lobes ist aber der Tadel. Wo man nicht tadeln kann, kann man auch nicht loben.

Lange bevor die „Antispeziesisten“ mit ihrem Unfug anfingen, gab es bereits einen klaren Grund und ein klares Kriterium für moralischen Status und Menschenrechte. Grund ist die altbekannte Vernunft in Gestalt von Autonomie und Moralfähigkeit. Kriterium ist die Zugehörigkeit zu der einzigen Spezies, die dazu in der Lage ist: Homo sapiens.

Das von „Antispeziesisten“ gern geäußerte Argument der „Grenzfälle“ (marginal cases) wird hier nicht weiter besprochen. Nur so viel: Es trifft selbstverständlich auch auf alle denkbaren Entitäten zu, die außer Menschen moralischen Status bekommen sollen. Immer gibt es Exemplare, die Eigenschaft x oder y im Moment oder dauerhaft nicht haben. Menschen fehlt aber im Falle des Falles die Fähigkeit zur normativen Selbststeuerung nicht in identischer Weise, wie sie einem Tier oder einem Stein fehlt. Dazu mehr in meinem Buch.

Fazit

Wie immer und überall fallen Moralvegetarier in die Grube, die sie anderen graben. Ihr Tun besteht ausschließlich darin, ihre eigenen logischen und moralischen Probleme auf andere zu projizieren, anstatt sich einzugestehen, dass sie rational und moralisch auf verlorenem Posten stehen. 

Rechtfertige dich! – oder auch nich

Moralveganer sind oft der Ansicht, dass andere sich vor ihnen dafür rechtfertigen müssen, nicht „vegan zu leben“. Doch wieso sollte sich jemand, der die veganen Normen gar nicht anerkennt, dafür rechtfertigen, sie nicht einzuhalten?

Rechtfertigungsbedürftig ist vielmehr, warum Veganer die von ihnen postulierten Gebote ohne Unterlass brechen. Wenn sich jemand moralisch dazu verpflichtet, nach Möglichkeit alles zu unterlassen, was auf „Tierausbeutung“ und –tötung beruht, stellt sich die Frage, warum diese Person dennoch jeden Tag die Annehmlichkeiten der modernen technischen Zivilisation in Anspruch nimmt, die angeblich samt und sonders auf „Tierausbeutung“ und –tötung beruhen. Zum Beispiel die Nutzung des Internets, was ohne elektrische Geräte nicht möglich ist, die wiederum allesamt Kupfer enthalten, der mit Knochenleim inhibiert wird. 

Wie gesagt: Das moralische Problem haben nur Personen, die sich auf oben genanntes Gebot verpflichtet haben. Andere – die „bösen“ Fleischesser zum Beispiel – haben dieses Problem jedoch nicht. Da sich die Veganer nicht auf allgemein anerkannte Normen stützen können, um genau diese Normen gegen die „Normalmenschen“ in zu Stellung bringen, bleibt das Ganze allein ihre Sache. Allgemein gilt schließlich seit vielen Jahrtausenden, dass die Nutzung und Tötung von Tieren moralisch legitim sei.

An verbreitete „Intuitionen“ der Bürger können Veganer nicht anknüpfen. Das müssen sie auch nicht. Aber dann müssten sie einen erhöhten Begründungsaufwand betreiben, um andere überzeugen zu können. Davon kann aber keine Rede sein. Sie strampeln und schreien nur. Ihre „Argumentationen“ sind durchweg zirkulär, setzen immer schon voraus, was zu beweisen wäre – zum Beispiel die Gleichheit von Menschen und (bestimmten) Tieren in ethischer Hinsicht.

Entweder, unsere Gesellschaft ist – wie die meisten Moralveganer behaupten – von Tierausbeutung, Tierleid und „unnötigem Tiertod“ durchdrungen. Dann laden sich die Moralveganer selbst eine hohe Bürde auf, wenn sie ihre moralischen Prinzipien ernst nehmen. Dann müssten sie weitgehend ohne zivilisatorische Segnungen auskommen und ein zurückgezogenes Leben führen. Denn je mehr sie an einer von Tierausbeutung durchdrungenen Gesellschaft partizipieren, desto mehr Tierleid und –tod verursachen sie.

Da es ohne Weiteres möglich ist, auf niedrigem zivilisatorischem Niveau zu leben, müssten sie sich selbst immerzu die Frage stellen, warum sie es dann partout nicht tun. Stattdessen schlagen sie andere mit der Behauptung tot, man könne „ganz leicht“ auf Tierprodukte verzichten. Wenn es so leicht ist – warum tun es die Veganer dann nicht?

Ist nun die Gesellschaft nicht von Tierausbeutung usf. durchdrungen, dann erscheint das gesellschaftliche Problem nicht annähernd so groß, wie die Moralveganer behaupten. Damit aber hätten weder ihr Aktivismus noch ihre moralischen Anklagen noch ihre Gleichsetzungen von menschenverursachtem Tierleid mit Unrechtssystemen eine Grundlage. Sie müssten sich daher fragen, ob ihr Handeln verhältnismäßig ist. Vegane Gebote sind entweder zu unverbindlich („nach Möglichkeit …“) oder zu streng und damit unerfüllbar. Eine so strukturierte „Ethik“ taugt nicht zum praktischen Leben unter Normalbedingungen, sondern kommt erst im permanenten Ausnahmezustand des auf Dauer gestellten Fanatismus zu sich selbst.

Das alles würde bei einigermaßen rationalen Menschen zur Folge haben, die eigenen Normen zu überdenken und zu verwerfen. Moralveganer tun das Gegenteil und pflegen ihre Paranoia, indem sie ihre selbstgeschaffenen moralischen Dilemmata auf alle anderen projizieren. Es nimmt daher nicht wunder, dass nicht nur bösartige Dummköpfe, sondern vor allem psychisch Angeschlagene, narzisstisch Gestörte und ähnliche Personen vom ethischen Veganismus magisch angezogen werden.

Statt sich die eigene „Verrücktheit“ einzugestehen, wird alles dafür getan, die ganze Welt verrückt zu machen, damit man sich selbst für normal und moralisch vorzüglich halten kann. Leider ist zumindest die westliche Welt aufgrund allgemeiner Dekadenz dafür nur allzu empfänglich.

Das wird böse enden.

Lauterbach und Kant

Anfang des Jahres 2022 hatte Karl Lauterbach eine „philosophische Phase“, in welcher er kurz hintereinander Hegel und Kant bemühte, um die Coronamaßnahmen sowie im Speziellen die Impfpflicht zu begründen. Während er von Hegel lediglich einen Satz zitierte, den Hegel nie geäußert hatte, wurde er bei Kant etwas konkreter. Wer die Impfung verweigere, verstoße gegen den Kategorischen Imperativ. Gemeint ist die Gesetzesformel desselben, welche lautet:

Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie allgemeines Gesetz werde. 

Lauterbach erläutert diese Formel selbst in seiner Doktorarbeit auf Seite 33. Eine Maxime ist Kant zufolge ein Prinzip des Willens, nicht eine einzelne Handlung oder ein bloßer Wunsch. Verallgemeinerbar müssen die Maximen sein, die der jeweiligen Handlung zugrundeliegen. Maximen sind abstrakter als Handlungen. Nur so ergibt der Kategorische Imperativ Sinn. Wenn ich heute im 23 Uhr schlafen gehe, braucht diese Handlung nicht allgemeines Gesetz werden zu können, um moralisch korrekt zu sein.

Kategorisch oder hypothetisch?

Nun meint Lauterbach, dass eine Verweigerung des Impfangebots „nie die Maxime des Handelns für uns alle sein“ könne. „Wenn wir uns alle weigern würden, die gut erforschte und nebenwirkungsarme Impfung zu nutzen, um uns selbst vor Tod und schwerer Krankheit zu schützen, würden wir die Pandemie wahrscheinlich nie beenden können.“

Die Verweigerung eines konkreten Impfangebots kann tatsächlich nie die Maxime des Handelns für uns alle sein, und zwar deshalb, weil sie nicht abstrakt genug ist. Lauterbach müsste also erst einmal eine Maxime formulieren. Das tut er aber nicht. Statt eines kategorischen Imperativs formuliert er einen hypothetischen Imperativ. Mit der Impfung soll die Pandemie beendet werden. Der Imperativ des Gesundheitsministers lautet also schlicht: „Lasst euch impfen, wenn ihr die Pandemie beenden wollt.“

Mit Kant hat das überhaupt nichts zu tun. Denn laut Kant ist ein Imperativ nur kategorisch, wenn er frei von aller Empirie ist. Es geht nur darum, ob eine Maxime überhaupt zum Gesetz taugt, da sie andernfalls nicht verbindlich ist. Zum Gesetz taugt sie nur dann, wenn sie ohne logischen Widerspruch gedacht oder gewollt werden kann. Kann sie nicht gedacht werden, verletzt sie strenge Pflichten; kann sie nicht gewollt werden, verletzt sie minder strenge Pflichten.

Lauterbachs Maxime – die er uns nicht mitteilt – kann sich nur auf die weniger strengen Pflichten beziehen, denn er will ganz offenbar sagen, dass allgemeine Verweigerung von Covid-Impfstoffen nicht ohne logischen Widerspruch gewollt werden kann. Konsistent denken lässt sie sich allemal. Es wäre nun interessant zu erfahren, wo ein Widerspruch zur ungenannten Maxime vorhanden ist, der es unmöglich macht, die Covid-Impfung nicht zu wollen. Doch dazu schweigt der Minister.

Geht es lediglich um den Zweck, die Pandemie zu beenden, ist kein Platz für kategorische Imperative. Dann diskutiert man über diesen Zweck im Hinblick auf andere Zwecke sowie über geeignete Mittel. Was letzteres betrifft, gibt es sicher bessere Mittel als die Massenimpfung. Lauterbach könnte zum Beispiel zusammen mit der Regierung die Pandemie für beendet erklären oder sich auf präzisere Messmethoden stützen, was die Infektionsraten betrifft (siehe hier, S. 37 ff). Dann wäre die Pandemie sofort verschwunden. Lauterbach brauchte also nur die Resultate von John Ioannidis anzuerkennen, anstatt letzteren als „extrem umstritten“ abzuqualifizieren. Der Kategorische Imperativ ist jedenfalls das Abseitigste, was man in diesem Zusammenhang bemühen kann.

Bock und Melker

Man fragt sich also, was der Bezug auf Kant überhaupt soll. Denn um es für ein triftiges Argument halten zu können, dass die Impfverweigerung gegen den Kategorischen Imperativ verstößt, muss man erst einmal die Kant’sche Ethik für triftig halten. Um dies zu können, muss man Kants Ethik aus eigenem Studium kennen. Das dürfte aber nur bei sehr wenigen Bürgern der Fall sein. Wer keinen Schimmer hat, mag also zu Recht erwidern: „Kant? Kenn ich nicht. Mir doch egal, was irgendein Typ ausgebrütet hat!“ Unter den Sachkundigen wiederum gibt es viele, die der Kant’schen Ethik ablehnend gegenüberstehen. Dort kann ebenfalls keine große Fangemeinde rekrutiert werden. Die Behauptung Lauterbachs wäre also nur für diejenigen von Bedeutung, welche die Kant’sche Ethik sachkundig anerkennen.

Lauterbach wollte aber gewiss nicht das kleine Häuflein kompetenter Kantianer überzeugen, die es im Lande noch gibt. Diese würden aller Wahrscheinlichkeit nicht einmal müde lächeln. Schließlich ist seine Behauptung nichts anderes als das säkulare Pendant zum Spruch „Jesus hätte sich impfen lassen“, über welchen alle Hohlköpfe mit „rational-aufklärerischem Weltbild“ gerne die Nase rümpfen. Genau bei diesen Halbgebildeten will Lauterbach anscheinend Eindruck machen.

Gibt man dieser großen und medial präsenten Schar etwas, womit sie sich überlegen fühlen kann, fällt sie klügelnd über alle anderen her – vor allem in den sozialen Netzwerken. Das hat schon hervorragend mit dem „exponentiellen Wachstum“ funktioniert, von welchem „Coronaleugner“ vermeintlich nichts verstehen. Nun – o Sünde – verstehen sie noch nicht einmal etwas vom Kategorischen Imperativ. Untergang des Abendlandes! Dabei dürfte kaum einer von ihnen jemals nur eine Zeile aus einem Origninalwerk Kants gelesen haben. Der philosophierende Gesundheitsminister und seine imaginären Getreuen geben also – um Kant selbst zu zitieren – den „belachenswerthen Anblick […], daß einer (wie die Alten sagten) den Bock melkt, der andre ein Sieb unterhält.“ 

Niemals lügen!

Lauterbach hat den Kategorischen Imperativ nicht bemüht, um die Menschheit neutral darüber zu informieren. Er identifiziert sich auch verbal mit selbigem. Die Frage ist aber, wie er dies mit seinem eigenen Tun in Einklang bringen will. Berühmt-berüchtigt ist nämlich Kants vollständige Absage an das Lügen. Hier zeigt sich die unerbittliche Strenge des Kategorischen Imperativs. Eine Welt, in der alle lügen, ist im wörtlichen Sinne undenkbar. Der Begriff der Lüge setzt Wahrheit voraus. Lügen bedeutet, bewusst die Unwahrheit zu sagen. Wenn jeder lügt, gibt es keine Wahrheit mehr, womit es auch keine Lüge mehr gibt. Sein Ziel erreicht der Lügner nur, wenn er als Parasit der Wahrhaftigen agiert. Lügen kann man nur dort, wo es die Nichtlüge gibt. Weil es als Maxime nicht einmal gedacht werden kann, ist Lügen eine Verletzung strenger Pflichten. Kant zieht daraus die Konsequenz, dass Lügen niemals, unter keinen Umständen statthaft ist. Das gilt auch für jegliches „Lügen aus Menschenliebe“.

Allein durch seine Karriere als Politiker gerät Lauterbach in begründeten Verdacht, sich nicht wirklich mit dem Kategorischen Imperativ zu identifizieren, obwohl dieser beim Thema Lügen logisch am stringentesten ist. Auf die Frage eines Interviewers, was falsch daran sei, die Wahrheit zu sagen, antwortete Lauterbach:

Die Wahrheit führt in sehr vielen Fällen zum politischen Tod, ich bitte Sie!

Er spricht hier erfrischend ehrlich aus, was der Fall ist, ohne sich expressis verbis damit zu identifizieren. Das „Ich bitte Sie“ kann so etwas wie „Seien Sie doch nicht so naiv!“ bedeuten – vielleicht auch: Così fan tutteSo machen es alle. Es könnte zwar sein – und ich bin auch davon überzeugt – dass er sich damit selbst zum Lügen lizenziert. Doch das geht nicht eindeutig aus seinem Statement hervor.

Wenn die Wahrheit zu sagen nur in sehr wenigen Fällen nicht zum politischen Tod führt, erscheint aber erklärungsbedürftig, warum ausgerechnet Lauterbach zum Minister aufgestiegen ist, obwohl er immer und überall die Wahrheit sagen muss, wenn er dem Kategorischen Imperativ folgen will. Hat er einfach Glück gehabt? Schützt ihn der Torheit Schild? Oder hat er bisweilen geflunkert, um politisch zu überleben? Alle Lebenserfahrung und Menschenkenntnis spricht für letzteres. Würde Lauterbach mir weismachen wollen, er sei ohne eine einzige Lüge Minister geworden, würde ich ihm sein „Ich bitte Sie“ entgegenhalten. Alle „Aufgeklärten“ im Lande hingegen glauben ihm jedes Wort, denn er ist schließlich nicht nur der größte Mediziner und Epidemiologe, sondern auch der größte Kantianer aller Zeiten!

Das ist die Crux beim Kategorischen Imperativ: Er liegt leicht auf der Zunge, aber schwer im Magen. Ich hoffe, dass er Lauterbach eines Tages den Magen verderben wird.

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